Die «Sache Jesu» geht weiter : Etwas salopp lassen sich die Schriften des Neuen Testamentes auf diesen Nenner bringen. Die Sache Jesu geht weiter in den Menschen, die die Erfahrung der Auferweckung gemacht haben. Dieser Jesus lebt weiter – in den Menschen, die seinem Beispiel folgen, in der Gemeinschaft derer, die an ihn glauben. In den Gemeinden werden Jesus und seine «Sache» leibhaft und greifbar. Hier wird der Arme in die Mitte genommen, wird Solidarität geübt, wird das Brot geteilt.
Bilder für das Phänomen Kirche
Diese Erfahrung, dass in der Kirche weitergeht, was in Jesus begonnen hat, bringt die junge Kirche in den verschiedensten Bildern zum Ausdruck: Kirche ist der Tempel des Heiligen Geistes, sie ist die neue Stadt, sie ist Haus(halt) Gottes, Gemeinschaft der Heiligen, Braut Christi. Schon bald steht die neue Gemeinschaft vor den Fragen, die sich allen Neuaufbrüchen stellen: Wie sollen sie sich organisieren? Wer trifft Entscheidungen und wie? Wie lassen sich Konflikte lösen?
In eine solche Auseinandersetzung führt Paulus ein Bild ein, das für die Geschichte der Kirchen prägend sein wird. Ein Bild, das das Wesen von Kirche ebenso gut umschreibt wie die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn ein charismatischer Aufbruch den unvermeidlichen Weg der Institutionalisierung nimmt.
Im ersten Korintherbrief schreibt Paulus an eine Gemeinde, die er selbst gegründet hat und die jetzt gespalten bzw. zerstritten ist. In seinem Mahnen und Werben für die Einheit der Gemeinde verweist Paulus auf das, was die Gemeinde zusammenhalten soll: die gemeinsame Feier des Erinnerungsmahles an Jesus.
«16 Ist der Kelch des Segens, über den wir den Segen sprechen, nicht Teilhabe am Blut Christi? Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? 17 Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot.» (1 Korinther 10,16-17)
Leib Christi – die Sendung der Kirche
Paulus verwendet hier ein Bild innigster Verbundenheit: Es ist ein Bild der Verbundenheit unter den Glaubenden selbst. Die Glaubenden bilden eine Einheit, in der die Glieder des Leibes einander tragen und stärken; in der die Begabung eines Gliedes die Freude und der Reichtum aller ist; in dem alle trennenden Unterschiede (Mann und Frau, Sklaven und Freie, Juden und Griechen, vgl. Galater 3,28) niedergerissen sind; in der das Leiden eines Gliedes alle schmerzt; in der das Versagen eines Gliedes, die Glaubwürdigkeit des ganzen Leibes betrifft. Und es ist ein Bild innigster Verbundenheit mit Jesus Christus und mit Gott: Durch die Taufe sind die Glaubenden mit Jesus zutiefst verbunden – lebt er in ihnen, stärkt und tröstet er sie. In der Gemeinschaft der Kirche setzt sich leibhaft-konkret fort, was mit der Sendung Jesu begonnen hat. Dass Kirche Leib Christi ist, meint Paulus also nicht als Auszeichnung für die Kirche, sondern er beschreibt damit ihre Berufung und ihren Auftrag. Das Johannesevangelium bringt das – in einer anderen Metapher – sehr deutlich zum Ausdruck:
«4 Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht an mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.» (Johannes 15,4-5)
Die Gemeinschaft der Glaubenden ist «Leib Christi» um Frucht zu bringen. Sie soll in der Nachfolge Jesu die frohe Botschaft verkünden, Kranke heilen, Gefangene befreien, ein Licht sein für alle Menschen. Wunderbar zusammengefasst ist das im folgenden Text :
«Christus hat keine anderen Hände als unsere Hände, um heute seine Arbeit zu tun. Er hat keine anderen Füsse als unsere Füsse um Menschen auf seinen Weg zu führen. Er hat keine anderen Lippen als unsere Lippen, um den Menschen seine Botschaft zu verkünden. Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest. Wir sind Gottes Botschaft, in Taten und Worten geschrieben.»
Leib Christi als sichtbare Körperschaft – Kirche als Institution
Mit der Metapher des Leibes greift Paulus aber ein Bild auf, das in der Antike auch eine rechtliche und politische Dimension hat: Staat und Volk werden als «Leib» (so z.B. bei Aristoteles) verstanden. In einem solchen Körper gibt es – für die antiken Autoren selbstverständlich – Über- und Unterordnung, Macht und Gehorsam.
Damit verweist das Bild des Leibes auf ein Dilemma, vor dem jeder charismatische Neuaufbruch wie der der jungen Kirche steht: Um als Gemeinschaft handlungsfähig bleiben und der eigenen Sendung treu bleiben zu können, muss sie den Weg der Institutionalisierung gehen. Sie muss Entscheidungswege bestimmen, Wege der Konfliktlösung finden, Ämter und Strukturen ausbilden. Damit ist ein Weg vorgezeichnet, der Kirche zum «Streitfall» macht. Denn die Strukturen, die der Sendung und dem Auftrag der Kirche dienen sollen, entfalten eine Eigendynamik, so dass sie diesen Auftrag verdunkeln und verstellen können.
Wenn Paulus im Korintherbrief vom Leib Christi spricht, so deswegen weil er die gleiche Würde und Begabung der Glaubenden betonen will (vgl. 1 Korinther 12). Anders als in den antiken Texten kennt dieser Leib aber gerade kein Haupt, weil Christus in den Gliedern wirkt und gegenwärtig ist. Wenn dann der Kolosserbrief von Christus als dem Haupt spricht, wenn in den so genannten Pastoralbriefen sich eine Struktur von Ämtern herauszubilden beginnt, so kommt damit eine Entwicklung in Gang, an deren Ende sich das (Papst-)Amt in der (katholischen) Kirche immer stärker mit diesem Haupt des Leibes Christi identifiziert. Doch auch dieses Dilemma kennt Paulus schon. Wenn er gegenüber der Gemeinde von Korinth an verschiedenen Stellen seine Autorität als Apostel und seine Berufung durch Christus selber herausstreicht, so betont er zugleich, dass er nicht der Herr «seiner» Gemeinde ist:
«Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.» (2 Korinther 1, 24)
Damit beschreibt er zugleich den Sinn jeder Autorität in der Kirche.
Institution und Freiheit
Halten wir fest: Will Kirche ihrer Sendung treu bleiben, in dem sie die frohe Botschaft weitersagt, den Armen dient und sich im Gebet und in der Feier dem Geheimnis Gottes öffnet, dann kann sie nicht anders: Sie muss Institution werden, mit Ämtern, Strukturen, Regeln. Nur so kann sie die «Sache Jesu» sichtbar und konkret erfahrbar werden lassen.
Die Strukturen und Ämter müssen diesem Auftrag dienen: Das Amt muss die Kirche «in der Spur des Evangeliums» (Zulehner) halten, die Gemeinschaft immer wieder mit ihren Ursprüngen und ihrem Auftrag konfrontieren. Doch liegt darin auch die bleibende Versuchung: Zu meinen, dass die Strukturen schon die Erfüllung des Auftrages garantierten, die Versuchung, die Kirche mit dem Reich Gottes und seiner neuen Gerechtigkeit zu identifizieren – statt ihm zu dienen. Die Versuchung, Kirche nur aus dem Blickwinkel des «grossen Ganzen» zu sehen und dann die subjektiven und individuellen Glaubensüberzeugungen gering zu achten. Aber nicht die Entmündigung der Glaubenden durch eine «Mutter Kirche» darf das Ergebnis sein, sondern ihre Befähigung und Ermächtigung zur eigenen Verantwortung im Glauben, zur «Freiheit der Kinder Gottes» (vgl. Römer 8,21).
Hier behält die Metapher vom «Leib Christi» ihren bleibenden Wert: Kirche ist nicht einfach Leib Christi, sondern in jedem Gottesdienst betet sie darum, dass sie sich wandelt, dass sie Brot wird, von dem die Menschen leben können. Sie muss immer neu Leib Christi werden.
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