Glauben in einer vieldeutigen Welt

Als Gott dem in die Jahre gekommenen Abraham sagt, seine Frau werde einen Sohn gebären, lacht Abraham – und seine Frau Sara lacht mit ihm. So erzählt es das Buch Genesis.1 Glaube und Unglaube liegen nahe beieinander. Dies drückt sich auch im Wort des libanesischen Dichters Khalil Gibran aus: «Der Zweifel ist ein Schmerz, der zu einsam ist, um zu wissen, dass das Vertrauen sein Zwillingsbruder ist.»

Ein lesenswerter und anregender Beitrag zur Debatte um Glaube und Nicht-Glaube ist das von der Europäischen Gesellschaft für Katholische Theologie 2010 ausgezeichnete Buch «Geduld mit Gott» des tschechischen Theologen Tomáš Halík. Halík war zur Zeit des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei Priester der Untergrundkirche und lehrt heute an der Karlsuniversität in Prag Soziologie.2 Gleich zu Beginn des Buches hält er fest, dass er mit den Atheist:innen fast in allem übereinstimme – ausser in ihrer Überzeugung, dass es Gott nicht gibt.

Geduld mit Gott

Tomáš Halíks Vorbehalte gegenüber einer allzu überzeugten und bruchlosen Gläubigkeit sind gross. Die Welt präsentiert sich als eine ambivalente Wirklichkeit und Glauben ist keineswegs eine so «eindeutige Sache», wie es manche Gläubige in ihrem religiösen Enthusiasmus suggerieren. Die Abgründe des Lebens setzen Menschen zu, unabhängig davon, ob sie glauben oder nicht.

Tomáš Halík (Bild Petr Novák, Wikimedia Commons)

Erfahrungen der Abwesenheit Gottes und des Zweifels an der Sinnhaftigkeit des Lebens kennen auch religiöse Menschen. Aus diesen Erfahrungen die Schlussfolgerung zu ziehen, Gott existiere nicht, ist eine mögliche Deutung, die Halík in seinem Buch nirgends als falsch disqualifiziert. Das Urteil scheint ihm jedoch übereilt, ein Zeichen von Ungeduld. Die Erfahrung der Abwesenheit Gottes kann nämlich auch zum Vermissen Gottes und zum Ruf nach Gott führen.

«Ja, den Hauptunterschied zwischen dem Glauben und dem Atheismus sehe ich in der Geduld. Atheismus, religiöser Fundamentalismus und leichtgläubiger religiöser Enthusiasmus sind sich auffallend ähnlich in dem, wie schnell sie fertig sind mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen – und eben deshalb sind alle diese drei Positionen für mich in gleichem Masse unannehmbar.»3

Wenn es Gott gibt, ist er allein in der Tiefe zu finden, im Durchgang durch die Abgründe des Lebens. Glaube, Liebe, Hoffnung sind eine mögliche Antwort auf das Schweigen Gottes. Die christlichen Grundhaltungen, so formuliert Halík mit Bezug auf ein Wort von Adel Bestravos4, sind Geduld mit Gott. Die Fähigkeit, zu warten, auszuharren und Zeiten der Gottferne zu integrieren, gehört wesentlich zum jüdisch-christlichen, ja zu jedem reifen, erwachsenen Glauben.

«Der Glaube ist gerade für jene Zeiten der Dämmerung, der Vieldeutigkeit des Lebens und der Welt wie auch für die Nacht und den Winter des Schweigens Gottes da. Er ist nicht da, um unseren Durst nach Gewissheit und Sicherheit zu stillen, sondern um uns zu lehren mit dem Geheimnis zu leben.»5

Heilsame Verunsicherung

Der Drang nach Gewissheit war in der Kirchengeschichte immer wieder virulent. In der Zeit des 1. Vatikanischen Konzils (1870) und darüber hinaus war man bestrebt, die Objektivität des Glaubens zu beweisen und als übernatürliche Wahrheit einzufordern. Der Glaube wurde zu einem System von Glaubenssätzen. In dieser Zeit der kirchlichen Bevormundung formulierte die junge französische Philosophin Simone Weil (1909-1943) ihre These vom heilsamen Gebrauch des Atheismus. Der Atheismus könne eine «Reinigung des Begriffes Gott»6 sein, indem er vor einem allzu simplen Gottesverständnis bewahre und den Glauben von Verzerrungen befreie.7

Simone Weil (1909-1943, Wikimedia Commons)

«Dieu veut rester dans le secret»8 – die Notiz Simone Weils lässt das biblische Wort anklingen von Gott, der «in unzugänglichem Licht wohnt» (1. Timotheusbrief 6,16). Gott ist kein Gott, der uns einfach zuhanden ist; er gehört nicht in die Welt der Dinge und Gegenstände. So offenbart sich die Gottheit Mose am Dornbusch und entzieht sich zugleich seinem Zugriff, wenn sie sagt: «Ich bin der ich bin» (Exodus 3,14). In dieses Geheimnis einzutreten, ist ein Wagnis und braucht Mut.

Der Gott der Anderen

Halíks Überlegungen kristallisieren sich an der Figur des Zachäus aus dem Lukasevangelium.9 Zachäus präsentiert sich als einer, der sein Urteil über Gott und die Welt noch nicht gemacht hat, der nicht weiss, ob er glauben kann und zugleich voller Neugier und Interesse ist. Halík lädt ein, mit den Zachäus-Menschen von heute in einen Dialog zu kommen, nicht um sie in die Kirche zu holen, sondern um deren Erfahrung des Suchens und Zweifelns in der Kirche Raum zu geben. Tomáš Halík will Gott nicht den «im Religiösen Sicheren» überlassen. «Niemand hat das alleinige Anrecht auf ihn. Unser Gott ist zugleich der Gott der Anderen – sowohl der Suchenden wie auch jener, die ihn nicht kennen.»10

Der tschechische Theologe plädiert in diesem Zusammenhang für eine «neue Befreiungstheologie» im Sinne einer Befreiung des Inneren.11 Analog zur Option für die Armen sei eine Lektüre der Bibel und der christlichen Botschaft aus der Perspektive einer tiefen Solidarität mit den religiös Suchenden gefordert. Kirche lässt nicht nur ihren äusseren barocken Triumphalismus los und ist eine Gemeinschaft, die ihre finanziellen Ressourcen teilt und zugunsten anderer einsetzt. Kirche gibt auch den inneren Triumphalismus auf und die Vorstellung, alleinige Besitzerin der Wahrheit zu sein. Sie ist Kirche auf Erkundung und sucht ernsthaft das Gespräch mit anderen Religionen und areligiösen Menschen. Denn auch die christliche Wahrheit ist eine nicht zu Ende gesprochene Wahrheit. Dies drückt sich beispielhaft im Jesus-Wort vom Weg aus, in dem Beziehung, Wahrheit, Leben und Unterwegssein eng miteinander verflochten werden: «Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.» (Johannesevangelium 14,6) Glaube ist keine Inbesitznahme von Wahrheit, sondern ein Weg, der in der Begegnung nicht endet, sondern neu aufbricht.

Übrigens: Gott hat Abraham und Sara das zweifelnde Lachen nicht übelgenommen. Er schenkte ihnen einen Sohn. Abraham nannte ihn Isaak, Gelächter. Und Sara drückte ihre Befreiung mit einem Jubel aus: «Gott liess mich lachen; jeder, der davon hört, wird mir zulachen.» (Genesis 21,6)

  1. Vgl. Genesis 17,17 und 18,12.
  2. Tomáš Halík: Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute, Freiburg 62013. Halík war in den Achtzigerjahren ein enger Mitarbeiter von Kardinal Tomášek und nach der Öffnung des eisernen Vorhangs Generalsekretär der tschechischen Bischofskonferenz und Mitarbeiter von Vaclav Havel. Papst Johannes Paul II. berief Halík zum Berater des Päpstlichen Rates für den Dialog mit den Nichtglaubenden.
  3. Tomáš Halík: Geduld, S. 9.
  4. Adel Bestravos (1924-2005), Diakon der ägyptisch-koptischen Kirche: «Patience with others is Love. Patience with self is Hope. Patience with God is Faith.», auf: http://www.bestavros.net/adel/Home.html
  5. Tomáš Halík: Geduld, S. 11.
  6. «Es gibt zwei Arten des Atheismus, eine davon ist eine Reinigung des Begriffes Gottes.» (Simone Weil: Aufzeichnungen 1, München/Wien 1992, S. 331) Sowie: «Die Religion als eine Quelle des Trostes ist ein Hindernis für den wahren Glauben, und in diesem Sinn der Atheismus eine Reinigung.» (Simone Weil: Aufzeichnungen 2, München/Wien 1993, S. 151)
  7. Vgl. «Ein Mensch, dessen ganze Familie bei Folterungen umgekommen ist; der selbst lange in einem Konzentrationslager gefoltert worden ist. Oder ein Indianer des 16. Jahrhunderts, der als einziger der vollständigen Ausrottung seines Volkes entgangen ist. Wenn solche Menschen an Gottes Barmherzigkeit geglaubt haben, dann glauben sie entweder nicht mehr daran oder verstehen sie auf ganz andere Weise als vorher. Ich habe solche Dinge nicht durchgemacht. Doch ich weiss, dass es sie gibt; welchen Unterschied macht das also? Es kommt auf das gleiche heraus, oder muss oder müsste auf das gleiche herauskommen.» (Simone Weil: Aufzeichnungen 3, München/Wien 1996, S. 99)
  8. Vgl. Simone Weil: Lettre à un religieux, Paris 21974, p. 72.
  9. Vgl. Lukasevangelium 19,1-10.
  10. Tomáš Halík: Geduld, S. 79.
  11. Vgl. Tomáš Halík: Geduld, S. 39.

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