Jene, welche die Evangelien schrieben, interessierten sich nicht für Jesu äusserliche Gestalt. Nirgends steht etwas zu seinem Aussehen, zu seiner Statur oder Kleidung. Einzig ein Mantel wird erwähnt, dem man ihm zum allgemeinen Gaudi umhängt, und sein Rock, ein nahtloses Gewand, um das die Soldaten unter dem Kreuz das Los werfen (Johannes 19,23).
Das Optische spielt in den Evangelien kaum eine Rolle. In griechischer Sprache verfasst sind sie ganz vom jüdischen Denken geprägt. In ihnen atmet die ersttestamentliche Zurückhaltung Bildern gegenüber.1
«Reden und Zuhören, Lesen und Schreiben, Beten und Singen gehört zur elementaren Praxis der frühchristlichen Gemeinden. Auch das Tauchbad der Taufe, Auflegen der Hände, gemeinsames Essen, einfache rituelle Zeichenhandlungen also. Wort und Sakrament in diesem Sinn gehören von Anfang an zum heilsökonomischen [heilvermittelnden; ABS.] Grundbestand der Kirche. Nicht aber die Bilder.»2
Die Verehrung Jesu Christi ist nicht angewiesen auf hergestellte, von Menschen angefertigte Bilder, da der Auferstandene im Wort und im Sakrament präsent ist. Die Gläubigen brauchen keine Statuen und keinen Tempel.
Antike Bilderwelten
Die griechische Kultur, so der Kunsthistoriker Peter B. Steiner, ist geprägt «vom Schauen, von der Faszination des Sichtbaren»3: die griechischen Götter haben eine sichtbare Gestalt, menschliche Gefühle werden im Theater vorgeführt und menschliche Bewegungen in Skulpturen anschaulich festgehalten. Die griechische Welt war im Gegensatz zur jüdisch-christlichen voller Bilder. Für Juden und Christinnen waren die Bilderfülle, die Bilderverehrung und das Opfern vor Bildern ein Kennzeichen des Nichtjüdischen bzw. des Nichtchristlichen. Paulus, so hält die Apostelgeschichte fest, wurde auf seinem Rundgang durch Athen von Zorn erfüllt, «als er sah, wie voll die Stadt mit Statuen von Gottheiten war.» (Apostelgeschichte 17,16) Ins Gespräch verwickelt, argumentierte der Apostel:
«Gott hat die Welt und alles in ihr gemacht, herrscht über Himmel und Erde, wohnt nicht in von Händen gemachten Tempeln, lässt sich auch nicht von Menschenhänden versorgen, hat nichts nötig, gibt doch selbst allen Leben, Atem und alles.»4
Erste Bilder im christlichen Kontext
Kam das Christentum in seinen Anfängen ohne Bilder zurecht, so löste sich die Zurückhaltung Bildern gegenüber ab dem 3. Jahrhundert allmählich auf. Zuerst noch unsicher und unbestimmt tauchten erste Zeichen und Bilder im christlichen Kontext auf. Das Aufkommen der Bilder war verbunden mit dem Aufstieg der Christ:innen in die höheren Klassen der hellenistischen Gesellschaft. Gläubige in den Städten Alexandria, Rom und Athen brachten auf Siegelringen, Trinkbechern und Sarkophag-Reliefs christliche Motive an: die Taube, der Fisch, das Lamm. Auch der in die Unterwelt absteigende Orpheus oder das Bild des schaftragenden Hirten finden wir in christlichen Zusammenhängen.
Die Christ:innen schufen nicht eigene Bilder, sondern wählten aus den in der Antike verbreiteten Bildern für sie passende Motive aus. Es handelt sich also um einen klassischen Vorgang der Assimilation und Inkulturation. Das Christentum, selber eine bilderlose Religion, eignet sich die antiken Vorgaben an – es verwirft manches, übernimmt anderes – um sich auf dem kulturellen Niveau des Umfelds artikulieren zu können.5
Neben den Verzierungen auf Alltagsgegenständen entstanden erste Wandmalereien in den Katakomben Roms und im christlichen Versammlungsraum von Dura Europos im heutigen Syrien. Es ist der bislang älteste christliche Versammlungsraum, der archäologisch nachgewiesen werden konnte. Das Haus für christliche Versammlungen stand fast unmittelbar neben der Synagoge. Die Synagoge enthält viele, grossartige Fresken zu biblischen Szenen und zeigt, dass auch im Judentum die Bildlosigkeit nicht immer und überall durchgehalten wurde. In der christlichen Hauskirche waren bei der Auswahl der Bilder nicht so sehr ästhetische Kriterien wichtig, sondern allein der Sinnbezug zum christlichen Glauben. Es sind figurale und szenische Bilder, die das durch Christus gebrachte Heil zum Ausdruck bringen. Im 5./6. Jahrhundert konnten selbst die triumphalen Bilder des Kaiserkultes zur Vorlage werden. So thront in Ravenna Christus Pantokrator siegreich in der Apsis als Herrscher und Richter der Welt.
Bild des unsichtbaren Gottes
Das Aufkommen der Bilder, das die Bedürfnisse der bildgewohnten griechischen und römischen Hörer:innen des Evangeliums nach Anschaulichkeit erfüllte, verlief keineswegs reibungslos. Die Bilderfrage löste Widerspruch, heftige Kontroversen und Tumulte aus. Um 787 n. Chr. musste von der Kaiserin Irene ein Konzil einberufen werden, um die streitenden Parteien zu versöhnen.
Die Bilderfreunde argumentierten, dass Gott in Jesus Christus sichtbar geworden sei. So bezeichne der Apostel Paulus Jesus als «das Bild des unsichtbaren Gottes» (Kolosserbrief 1,13). Das Pauluswort legitimierte nicht allein Bilder von Jesus, wie er auf Erden lebte, sondern führte – in Kombination mit dem Jesus-Wort «wer mich sieht, sieht den Vater» (Johannesevangelium 14,9) – auch dazu, dass man das Bild Christi als Bild des Schöpfergottes verstand und malte. So erscheint in gewissen Handschriften der Schöpfungserzählung oder der Psalmen Gott in der Gestalt Christi.6
Die bilderfreundliche Fraktion setzte sich im II. Konzil von Nizäa 787 n. Chr. durch, und Bilder waren von nun an im Christentum nicht mehr wegzudenken, wobei sie in der Ostkirche eine andere Stellung einnahmen. Knackpunkt der Auseinandersetzung war und blieb die Frage, ob Bilder verehrt werden dürften, ob sie neben dem religionspädagogischen Nutzen auch sakramentalen Rang hätten. Eine Diskussion, die in der Reformation wieder aufgenommen und nicht weniger heftig geführt wurde.
- Zum Bilderverbot vgl. Exodus 20,3-5 und Deuteronomium 5,7-9. Das Bilderverbot ist im Alten Israel eng mit der Herausbildung des Monotheismus im 6. Jahrhundert v. Chr. verknüpft. Vgl. Michaela Bauks: Bilderverbot (AT), auf: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/15357/ (02.01.2019). Mit Bildern sind Statuen und Figuren gemeint, also sogenannte Kultbilder. Es geht somit im Verbot nicht um geistige, innere Bilder. Die Psalmen beispielsweise sind reich an Sprachbildern und sprechen von Gott als sichere Zuflucht, schützenden Felsen, als Lebendige, Hebamme oder innere Stärke (vgl. Psalm 71).
- Alex Stock: Keine Kunst. Aspekte der Bildtheologie, Paderborn 1996, S. 11.
- Peter B. Steiner: Die Christen und die Bilder, in: Josef Brandner / Silvia Hahn / Peter B. Steiner: Gottesbild – Bilder des Unsichtbaren (Diözesanmuseum Freising, Kataloge und Schriften, Bd. 19), Regensburg 1997, S. 7-14, hier S. 7.
- Apostelgeschichte 17,24f, in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache (wie auch der oben zitierte Vers 16)
- Vgl. Alex Stock: Keine Kunst, S. 14.
- Vgl. Peter B. Steiner: Die Christen und die Bilder, S. 9.
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