Religionen im Gespräch

Das Schweizer Fernsehen zeigte Ende letzten Jahres eine mehrteilige Doku mit dem Titel «WG der Religionen». Eine Muslimin, ein Christ, ein Jude, eine Buddhistin und ein Atheist leben während rund drei Wochen in einer Wohngemeinschaft und werden von der Kamera begleitet.

Das Projekt macht deutlich, einen Dialog «der» Religionen gibt es als solchen nicht. Es sind konkrete Menschen, die einander begegnen und – in diesem Fall – respektvoll miteinander umgehen. Kulturelle Vorgaben, Familiengeschichte, Persönlichkeit spielen dabei ebenso eine Rolle wie ihre religiöse Prägung. Die WG-Teilnehmer:innen waren mehrheitlich jung. Ihre Aufgabe: den Mit-Bewohner:innen die Faszination ihrer persönlichen Überzeugungen zu vermitteln.

Sind Christ:innen dialogfähig? Manche biblischen Stellen und manche kirchlich-katholischen Aussagen betonen den exklusiven Wahrheitsanspruch des Christlichen. Andere Stimmen fordern nicht zuletzt im Anschluss an die Konzilstexte einen Dialog auf Augenhöhe und die Bereitschaft, den anderen Religionen Wahrheit und Heil zuzuerkennen.

Foto: «pfarrblatt», Foto: iStock/hanohiki

Anerkennung des Pluralismus

Der religiöse Pluralismus ist heute ein gesellschaftspolitisches Faktum und die Anerkennung der anderen Religionen gewissermassen ein Gebot der Stunde, dem Frieden und der Zukunft des Planeten geschuldet. Doch gibt es über die ethischen Imperative, über die Achtung der Religionsfreiheit und den Aufruf zur Zusammenarbeit hinaus auch ein theologisches Interesse am anderen und seiner Wahrheit? Der Jesuit Felix Körner beschreibt, wie er von den anderen Religionen lernen und durch sie im Glauben wachsen konnte:

«Ich habe das Evangelium wirklich erst zu verstehen begonnen, als ich angefangen hatte, mit Muslimen über die schwierigen Fragen zu reden – und angefangen hatte, mit diesen Fragen noch einmal neu unsere Theologie zu studieren. […] Neue Erlebnisse, auch fremde Zeugnisse helfen uns, das immer tiefer zu ergründen, was im Ostergeheimnis schon am vollsten erfahrbar ist: die endgültige Zukunft der Welt. So kann ich auch den Koran als Offenbarung hören.»1

Der Pluralismus der Religionen muss nicht als Bedrohung gelesen werden, sondern kann zur Aufforderung werden, das eigene aus der Perspektive des anderen besser zu verstehen. Die Religionen bedürfen einander, nicht nur in ihren Gemeinsamkeiten, auch in ihren Unterschieden.2 Die Anerkennung des anderen führt zu einem Prozess der Selbstklärung, ist identitätsbildend und ermöglicht Veränderung. «Auf dem Zweiten Vatikanum hat die katholische Kirche diesen Sprung nach vorn getan. Sie fragt nach sich und nach den Anderen.»3

Papst Franziskus und Ahmad Mohammad al-Tayyeb, Gross-imam der al-Azhar Moschee und Universität in Kairo, küssen sich, nachdem sie gemeinsam ein Dokument gegen Extremismus unterzeichnet haben. Die beiden religiösen Autoritäten trafen sich an der «interreligiösen Konferenz über menschliche Geschwisterlichkeit» in Abu Dhabi am 4. Februar. Foto: Reuters/Tony Gentile

Dialog der Religionen

Das Zweite Vatikanische Konzil stellt sich auf den Boden des Pluralismus. Es sieht die katholische Kirche und die nicht-christlichen Religionen vor dieselben Fragen gestellt und lädt zum kreativen Austausch ein:

«Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen am tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? […] Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?»4

Auf dieser Basis – Religion als Replik auf das tiefste Geheimnis der menschlichen Existenz – lassen sich Gleichwertigkeit und Eigenwert der Religionen denken. Mit Mythen und Meditation, mit heiligen Riten, Lehren und Lebensregeln geben die Religionen immer wieder neu ihre je eigene Antwort. «Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist.» (NA 2) Religionen werden von innen heraus verstanden und in ihrer je eigenen Ausdrucksweise und in ihren Werten anerkannt. Sie sind die Religion der anderen Menschen.

«Im Interreligiösen […]  geht es nicht darum, dass man sich über den Glauben einigt. Wir wollen friends in difference sein, Freunde, die nicht erst erklären müssen, dass sie dasselbe glauben, bevor sie zusammenkommen und zusammenarbeiten können.»5

Interreligiöse Feier zur Einweihung des Tram Bern West, Dezember 2010. Foto: «pfarrblatt»

Plurales Christentum

Die Wertschätzung der nicht-christlichen Religionen im Konzil geht einher mit einer Wiederentdeckung der Geschichtlichkeit des Christentums und der Pluralität seiner Tradition. Das Christliche ist kein monolithischer Block, sondern ein plurales Gebilde. Es ist erfahren im Umgang mit Unterschieden. Es gibt die synoptische und die paulinische Tradition, beide sind Ausdruck des Glaubens an Christus. Es gibt zwei Testamente, vier Evangelien, viele verschiedene Kirchen und kontextuelle Christologien. Auch heute ist das Christliche herausgefordert, sich in der Begegnung mit der Welt und den nicht-christlichen Religionen neu zu finden.

«Der Geist Gottes weht überall, aber er weht nicht überall gleich und nicht jeder Wind ist göttliches Wehen: Die Unterscheidung der Geister ist wichtig, denn Religion ist wie eine Kerze: Ich kann mit ihr das Haus erleuchten und ich kann es abbrennen. Deshalb ist gegenüber – der eigenen wie der fremden – Religion grundsätzlich auch Vorsicht notwendig und es ist zu prüfen, inwieweit die jeweilige Form von Religion entfremdet, entmündigt oder den Menschen zu seiner Bestimmung führt.»6

  1. P. Felix Körner: Tiefgang, Offenheit, Profil. Zum Verhältnis von Dialog und Mission, in: Jesuiten. Mitteilungen der österreichischen Jesuiten 91 (2017), Heft 2, S. 4 und 5f.
  2. Vgl. dazu auch Christian W. Troll: Unterscheiden um zu klären. Orientierung im christlich-islamischen Dialog, Freiburg i.Br. 2008.
  3. Elmar Klinger: Jesus und das Gespräch der Religionen. Das Projekt des Pluralismus, Würzburg 2006, S. 86. Nach sich fragt die Kirche in der Konstitution «Lumen gentium» und versteht sich als Volk Gottes unterwegs und als Licht für die Welt. Nach der Welt und den Anderen fragt sie in der Pastoralkonstitution «Gaudium et spes» und spricht von der Hoffnung der Menschen als Hoffnung der Kirche, und von der Würde der Menschen als Aufgabe der Kirche.
  4. Nostra Aetate 1. Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen, in: Kleines Konzilskompendium, hrsg. von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler, Freiburg 151981, 355-359, hier 355.
  5. P. Felix Körner: Tiefgang, Offenheit, Profil, S. 7.
  6. Josef Freise: Islamischer Glaube in der Perspektive christlicher Theologie: Wann und wo ist interreligiöser Dialog geboten, auf: https://www.katho-nrw.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/Josef_Freise_Islamischer_Glaube.pdf (4.2.2019)

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