Es gehört zum Genre des Films, dass der Bösewicht, aus dessen Fängen James Bond einmal mehr die Welt rettet, unverkennbar ist. Das Böse ist klar identifizierbar. Es hegt Allmachtsphantasien, denen sich Bond – ebenso mächtig und potent – entgegenstellt. Ausserhalb des Filmes ist das Leben eindeutig komplizierter.
Da mischt sich Glück mit Schmerz, Freude mit Leid, Schönheit mit Bitterkeit. Wir wollen Gutes tun und wählen das kleinere Übel. Wir suchen Gerechtigkeit und finden uns verstrickt in ein Netz von Abhängigkeiten. Selbst für James Bond scheint die Ordnung von Gut und Böse, von Oben und Unten, ins Wanken gekommen zu sein. Der Held wirkte in den letzten Filmen mitgenommen: Er leidet an der Welt, er liebt und kämpft mit den Schatten der Vergangenheit.
Ein Sündenfall, der keiner war
Die abendländische Philosophie beschäftigte sich lange und intensiv mit der Frage des Bösen. Im Allgemeinen wurde es wegrationalisiert, verniedlicht oder auf Anderes projiziert. Man verstand das Böse als blossen Schein, einen Mangel an Gutem oder als notwendige Prüfung. Vor allem interessierte, woher es kam. Die Erzählung von Adam und Eva, gelesen als Ursprungsmythos des Bösen, spielte in der Theologie eine entscheidende Rolle. Die ursprünglich gute Welt, so die verhängnisvolle Lesart, kam durch Ungehorsam und Stolz (der Frau) zu Fall. In Genesis 3 ist jedoch nirgends von einem Sündenfall oder einer Sünde die Rede, sondern vielmehr von der Erkenntnis von Gut und Böse – und diese wird in der Bibel durchwegs positiv verstanden. Die Menschen sind fähig, Gut und Böse zu unterscheiden, und somit aufgerufen, verantwortlich zu handeln.1 Wirkungsgeschichtlich setzte sich jedoch nicht der Aufruf zur Verantwortung an beide Geschlechter, sondern die «Sünde der Frau» fest, die infolgedessen als verführbar, willensschwach und körperlich im christlich-dualistischen Weltbild an Rang und Würde verlor.
James Bond sah das übrigens 1964 in Goldfinger noch ganz ähnlich: mit einem Klaps auf den Po und der Bemerkung «Männergespräch» wies er die Blondine weg, von der er sich am Pool massieren liess, als ein befreundeter Agent auf ihn zukam, um mit ihm Wichtiges zu bereden, die Rettung der Welt eingeschlossen.
Das Böse im Plural
Das Böse wurde traditionellerweise als etwas beschrieben, das dem Menschen widerfährt und ihn gewissermassen «von aussen» korrumpiert: ein Missbrauch von Freiheit, zerstörerisch und faszinierend zugleich. Das Böse liegt im «Machen», das seine Grenzen überschreitet und zu einem «zunichte machen» werden kann.2 Theologinnen wiesen in den letzten Jahrzehnten darauf hin, dass Frauen weltweit das Böse anders, nämlich oft gerade als «Macht-losigkeit» erfahren, als ein zu wenig an Autonomie und Wissen. Und dass das Ideal des «Gehorsams» Frauen nicht ins Heil, sondern weiter ins Unheil führe. Aber Ungehorsam wiederum Schuldgefühle mit sich bringe – ein Teufelskreis. Sie betonten zudem, dass Frauen auch Täterinnnen sind. Schwarze Menschen beschrieben, wie das Böse ihnen in Form von Sklaverei und Verachtung in den Leib gefahren ist und sie innerlich zerreisst. Sie erzählten vom Unglück der «falschen» Hautfarbe.
«Das Böse» gibt es aus phänomenologischer Sicht als solches nicht, und doch ist es real. Es hat viele Gesichter und vielfältige Gründe:
Es «existiert nicht im Singular, sondern im Plural; es äussert sich in vielfältigen Erscheinungsformen – geschichtlichen, gesellschaftlichen, körperlichen, sexuellen. Das Böse ist nicht abstrakt: Es hat konkrete Orte, unterschiedliche Gesichter oder Fratzen; es ist gegenwärtig in unserem Alltag und bedeutet nicht für alle dasselbe. Das Böse ist vielschichtig und nicht immer eindeutig: Inmitten des Bösen und aus diesem heraus kann Gutes, kann Gerechtigkeit entstehen.»3
Vom Unkraut unter dem Weizen
Mitten im Bösen kann Gutes entstehen… Jesus erzählt im Matthäusevangelium seinen Jünger:innen das Gleichnis vom Unkraut, das unter den Weizen gemischt ist (vgl. Matthäus 13,24-30). Das Böse ist da und gehört immer schon zu unserem Leben; es ist auf geheimnisvolle Weise mit dem Guten verwoben. In Unglück und Leiden mischt sich die Erfahrung von Solidarität und Hilfe. Zur Erfahrung des Misslingens und Scheiterns gesellt sich die Erfahrung von Unterstützung, Vergebung und Neuanfang – im schlechtesten Fall auch nur die Sehnsucht danach. Das Gleichnis ermutigt, darauf zu vertrauen, dass im Durcheinander der Welt das Gute sich durchsetzen wird.
Eine Macht ganz anderer Art
Die brasilianische Befreiungstheologin Ivone Gebara berichtet von einer überraschenden Starrköpfigkeit Gott gegenüber, die in ihrem Land die Armen an den Tag legten. In den Sorgen um die Kinder, in der täglichen Nahrungsbeschaffung, in Verzweiflung und in den Momenten der Freude sei das Wort «Gott» allgegenwärtig. Wie kommt es, dass Menschen auf das Eingreifen eines allmächtigen Wesens hoffen und dieses Gott nennen, wenn die alltäglichen Erfahrungen so ganz anders sind, gezeichnet von Ohnmacht? Ivone Gebara glaubt, dass die Armen eine Erfahrung machen von einer Macht, die ganz anderer Art ist, als alle Mächte, die sie kennen. Sie erfahren die Macht des Lebens! Es sind kleine Dinge, die ihren Glauben und ihre Hoffnung nähren: Da gibt es trotz all ihren Schwierigkeiten jemanden oder etwas, der oder das die Welt anders will, als sie ist.
«Es ist wie eine <Hoffnung wider alle Hoffnung, wie eine Erwartung jenseits aller Möglichkeiten, wie eine Bekräftigung, dass das letzte Wort nicht die Panzer und das Militär sind. Selbst wenn die Panzer und das Militär, die für die Mächte dieser Welt stehen, historisch gesehen die Sieger sind, gibt es noch eine andere Wirklichkeit, einen verborgenen Brunnen, das Lächeln eines Kindes, den helfenden Rat der Grossmutter. Es ist ein Brunnen, aus dem wir schöpfen können, an dem wir uns ausruhen und weiterleben können. Es ist ein beinahe unsichtbarer Faden, der das Leben in seinen vielfältigen Formen aufrecht erhält.»4
An diesem unsichtbaren Faden entlang gehen die Menschen ihren Weg, schreien zu Gott, rufen ihn und setzen täglich neu auf das Leben.
- Vgl. André Flury: Adam & Eva – oder vom Nackt-Sein, auf: https://www.glaubenssache-online.ch/2018/04/18/adam-eva-oder-vom-nacktsein/(21.04.2018)
- Vgl. Ivone Gebara: Die dunkle Seite Gottes, Freiburg i.Br. 2000, S. 26f.
- Doris Strahm: Editorial, in: Facetten des Bösen, Fama (3/2000), S. 2. Vgl. auch Ivone Gebara: dunkle Seite, S. 175f.
- Ivone Gebara: dunkle Seite, S. 186.
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