Adventliche Lichter in Strassen und Häusern erhellen in unseren Breitengraden die dunkle Jahreszeit. Neben dem Atmosphärischen und aller Weihnachtsromantik lässt sich in der Symbolik des Lichts in jüdisch-christlicher Tradition eine Verheissung entdecken, die Völker verbindet und in einer zerrissenen Welt Wege des Friedens weist. Licht spielt in den biblischen Texten eine wichtige Rolle.
Der Stern von Bethlehem
Da ist zum einen der Stern, von dem das Matthäusevangelium erzählt: Drei Weise sehen ihn, er weist ihnen den Weg und bleibt über dem Kind in Bethlehem stehen.1 Immer wieder versuchte man seit der Spätantike diesen sonderbaren «Stern von Bethlehem» zu identifizieren. Man sprach von astronomischen Konstellationen, von einem Kometen und untersuchte den Nachthimmel um die Zeitenwende. Ein Unterfangen, das Wissenschaftlichkeit und historisch belegbare Tatsachen versprach, in Wahrheit aber Form und Charakter des Textes ignorierte:
«In der Gattung ‹Kindheitsgeschichten› der Literatur der Antike werden Eigenschaften einer bedeutenden Person in Form von fiktiven Erzählungen dargestellt. Das sind gerade keine historischen Berichte.»2
Die biblischen Kindheitsgeschichten bei Lukas und Matthäus sind Ouverturen, das heisst sorgfältig komponierte theologische Einstimmungen in die folgenden Jesus-Erzählungen: Sie «sind im Licht von Ostern geschrieben und malen erzählerisch Heilstitel sowie zentrale Botschaften im Blick auf Jesus aus.»3
(K)ein Star
Der Stern ist theologisch zu deuten. Die Menschen, die das Matthäusevangelium geschrieben haben, kannten die hebräische Bibel (Altes Testament). In Kapitel 2 zitieren sie aus dem Prophetenbuch Micha 5,1 die Verheissung eines grossen Fürsten aus dem kleinen Bethlehem und verknüpfen diese Verheissung mit dem Stern, den das Numeribuch 24,17 erwähnt. Das Erscheinen des Sterns am nächtlichen Himmel weist auf das Erscheinen einer Heilsgestalt, auf Rettung. Die wunderbare «Führung» der Weisen wie auch das Stehenbleiben des Sterns – wörtlich: «hingestellt über dem Kind» – wiederum meinen nicht historische Tatsachen, sondern bringen den Glauben zum Ausdruck, dass Gott hier in der Geburt Jesu wie auch in seinem ganzen Leben wirkt.4
So wie wir heute das Stern-Motiv aus Musikbranche und Sportwelt5 kennen, so war es den Menschen zur Zeit Jesu ebenfalls ein vertrautes Bildprogramm, schmückten sich doch die Herrscher gerne mit dem aus der griechischen Götterwelt entliehenen Stern. Herodes der Grosse (73-4 v. Chr.) beispielsweise brachte Münzen in Umlauf, auf denen ein Stern über einem Helm zu sehen war. Indem Matthäus den Stern aufnimmt, präsentiert er herrschaftskritisch einen König ganz anderer Art. In diesem «König», so das Evangelium, ist – im Gegensatz zur Grausamkeit und Egozentrik eines Herodes – tatsächlich Gottes Gegenwart zu finden. Mit der Erzählung von den drei Weisen bringen die Schreibenden zudem zum Ausdruck, dass auch nicht-jüdische, gebildete Menschen sich von Gott zu diesem «König» Jesus Christus führen lassen.
Licht der Völker
Das Lukasevangelium bringt in Zusammenhang mit der Geburt Jesu die Symbolik des Lichts ebenfalls ins Spiel, indem es den betagten jüdischen Priester Simeon sagen lässt:
«30-31 Mit eigenen Augen habe ich es gesehen: Du hast dein rettendes Werk begonnen, und alle Welt wird es erfahren. 32 Allen Völkern sendest du das Licht, und dein Volk Israel bringst du zu Ehren.» (Lukasevangelium 2,30-32, Übersetzung: Gute Nachricht)
Interessanterweise spricht Lukas in einer doppelten Perspektive von der Bedeutung Jesu: Er ist erstens der erwartete Messias und Retter Israels und gehört zweitens zugleich als Licht für die Völker allen. Der Text atmet eine Weite – und ist so der Kindheitsgeschichte bei Matthäus ähnlich, wo Fremde sich als Gläubige entpuppen, die Gott (und nicht einen Götzen) anbeten. Diese universale Weite wird nicht etwa im Kontrast zum Judentum – gewissermassen «christlich» –, sondern ganz auf dem Boden des Alten/Ersten Testaments formuliert.6
Eine universale Friedensperspektive
Als kleines Volk war Israel über Jahrhunderte herausgefordert, sich seiner Identität unter fremden Grossmächten zu versichern. Trotz bitterer Unterdrückungs- und Deportationserfahrungen entwickelten die Israelit:innen die Überzeugung, dass Gottes Heilswille universal sei und für alle gelte. Das Ringen um Anerkennung der Anderen ist ein eindrückliches jüdisches Zeugnis. Prophetisch werden Israel wie die Völker unter Gottes Weisung gestellt; beide scheitern und beide wachsen daran. Diese Gemeinsamkeit und Verbundenheit der Völker (oder wie wir heute sagen: Ethnien) und Religionen drückt sich beispielsweise im Bild der Völkerwallfahrt aus. Die Völkerwallfahrt ist im Alten Testament vielfach beschrieben: Die fremden Völker werden in friedlicher Weise nach Jerusalem ziehen, auf den Berg Zion.7 Bemerkenswert ist, dass «der Zion» dabei auch Nicht-Israelit:innen offensteht:
«In der Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion erscheint der Jerusalemer Tempelberg nicht als exklusiver Ort, zu dem Nicht-Israeliten keinen Zutritt haben. […] In der Konsequenz finden die Kriege ein Ende und Kriegswaffen können getrost in landwirtschaftliche Geräte umgeschmiedet werden.»8
Interessanterweise ist es dieser Topos «Licht der Völker» (Lumen Gentium), den das Lukasevangelium im Rückgriff auf das Alte Testament und die Völkerwallfahrt ins Spiel bringt, der auch am 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) eine wichtige Rolle spielte und zu einer Öffnung der katholischen Kirche auf das Judentum und die anderen Religionen hin führte. Er ermöglichte der Kirche, am eigenen Glauben an Christus festzuhalten, ohne Angehörige anderer Religionen abzuwerten oder zu verurteilen. Und so formulierte die Kirche dank dieser Rückbesinnung auf die Bibel in ihren Konzilsdokumenten erstmalig eine grundsätzliche Offenheit für und eine Anerkennung anderer religiöser Bekenntnisse (Nostra Aetate).
«Friede auf Erden den Menschen»
Der Sinn religiöser Feste und insbesondere von Weihnachten liegt nicht in der Abgrenzung von anderen, vielmehr möchte Weihnachten mit seiner Botschaft der Menschlichkeit und des Friedens verbinden. Daher ist die heute immer wieder aufbrechende Auseinandersetzung, ob Weihnachtslieder an Schulen gesungen werden dürfen, so gar nicht «weihnächtlich», da sie Religionen tendenziell gegeneinander auszuspielen versucht. Den Sinn von Weihnachten und seinem Licht aufgenommen haben 2006 muslimische Organisationen der Schweiz und plädierten in einer gemeinsamen Stellungnahme für das Singen von Weihnachtsliedern in den Schulen.9 Wenn so voneinander gelernt, wenn so gegenseitig Respekt gelebt wird, dann ist Jesus für Muslim:innen ein Prophet, für Jüd:innen ein Bruder, für Christ:innen der Messias – für viele «Menschen aus allen Ethnien und Religionen» ein Licht in einer dunklen, zerrissenen Welt.
- Vgl. Matthäusevangelium 2,2.9.
- Anneliese Hecht: Zwischenruf. Die unausrottbare Mär von der astronomischen Dimension des Sterns von Bethlehem, in: Bibel und Kirche 74 (2019), S. 181-182, hier S. 181.
- Anneliese Hecht: Zwischenruf, S. 181.
- Vgl. Anneliese Hecht: Zwischenruf, S. 182: «Das Passiv verweist auf göttliches Tun, denn im Mt-Ev [Matthäusevangelium] wird auf diese Weise entsprechend dem jüdischen Gebrauch der Gottesname vermieden».
- Vgl. zum Beispiel das Signet der Champions League, der sogenannten Königsliga im Fussball, das aus Sternen besteht.
- In Simeons Verheissung spiegelt sich die Verheissung aus Jesaja 42,6. Vgl. auch die völkerfreundliche Theologie des Jonabuches und die Bedeutung Abrahams.
- Vgl. Oliver Dima: Völkerwallfahrt, auf: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34263/ (8.12.2019).
- Regina Wildhuber: Gottes Licht für alle Völker. Universalistische Linien im Alten Testament, in: Bibel und Kirche 69 (2014), S. 201.
- Vgl. Communiqué, https://vioz.ch/wp-content/uploads/2014/06/20061218_VIOZ_Communique_Weihnachten.pdf (11.12.2019).
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