Wo finden wir Trost? Was tröstet, wenn der Schmerz gross oder die Verzweiflung quälend ist? Und was erschüttert uns in solcher Weise, dass wir nach Trost verlangen? Wie trösten wir Menschen, die uns nahestehen, und welche Erinnerungen weckt das Wort «Trost» in uns?
Die aufgewühlte Seele des jungen Mannes beruhigt ein Spaziergang durch den Wald. Der Trost der Bäume ist für ihn eine überraschende, neue Erfahrung. In seiner Kultur ist der Wald negativ besetzt, er steht für Bedrohung und Unsicherheit: «Im Wald kann man sich verlieren und nicht mehr herausfinden. […] Wir lieben Bäume, aber wir verabscheuen den Wald.»1
«In der Fremde sprechen die Bäume arabisch»
Der irakische Schriftsteller Usama Al Shahmani verarbeitet in seinem in Deutsch geschriebenen Roman «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» eigene Erfahrungen der Migration. Er musste seine Heimat 2002 wegen eines regimekritischen Theaterstücks überstürzt verlassen und fand sich schliesslich in einer Asylunterkunft in der Schweiz wieder ̶ der Sprache nicht mächtig, verloren und orientierungslos. Wie nur sich zurechtfinden in diesem Land, in dem Melonen in Stücken gekauft werden, fragt sich auch der Protagonist des Romans irritiert und zunehmend verzweifelt.
«In der Fremde zu leben ist für mich ein Zustand, der mir wie eine Abwesenheit der Seele vorkommt. Nicht nur in meinem Alltag, auch in meinem Kopf, in meinem eigenen Denken fühle ich mich manchmal fremd.»2
Die wiederkehrende Mutlosigkeit wird zur abgrundtiefen Verzweiflung, als aus dem kriegsgeplagten Bagdad die Nachricht eintrifft, der jüngste Bruder sei spurlos verschwunden.
Was lindert die Fremde?
Erste gelungene Begegnungen schenken Vertrauen und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Trost findet der junge Mann jedoch vor allem im Wald. In aller Ungewissheit wird der Wald zu einem Ort, der Halt gibt.
«Mir waren alle diese Bäume in dem Wald fremd bis auf einige wenige, die in einer schönen Reihe standen wie ein arabisches Gedicht aus sieben Worten. Sie waren mir gleich vertraut, als seien wir alte Bekannte. Sie formten eine Gemeinschaft, wie eine wahre Liebe.»3
Es sind die Bäume, die seine Seele sanft zu berühren vermögen. Sie werden zu seinen Gesprächspartnern und der junge Mann zu einem, der von den Bäumen lernt. Sie haben ihm etwas zu sagen, erzählen von Verletzung, Sterben, Sehnsucht und Leben.
«Ich berühre die Rinde und versuche, sie kennenzulernen. Dabei spüre ich, wie meine Angst vor dem Fremdsein mich verlässt. Je tiefer ich in den Wald spaziere, desto deutlicher höre ich mein Inneres. Die Bäume sind für mich nicht nur eine Sauerstofffabrik, sie geben mir auch Hoffnung.»4
Al Shahmani spricht von einer absoluten Hoffnung, die ihm seine Grossmutter vererbt habe. Im Roman ist sie spürbar. «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» ist ein tröstliches, poetisches Buch, das in allem Schmerz und Schrecken Wärme vermittelt.
Religion als Wärmestrom
Als Wärmestrom wurde auch schon die Bibel bezeichnet. Sie wird damit nicht als ein Trostbuch qualifiziert, das vertröstet, ablenkt oder beschwichtigt, sondern vielmehr als eines, das dem Schmerz und der Verzweiflung Raum gibt, die Untröstlichkeit offenhält und damit vor Resignation und Zynismus bewahrt. «Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.» (Matthäus 5,4) Insbesondere die Psalmen sind ein Dokument des Schreiens und des Harrens. Und sie bezeugen in ihrem Rufen, welches zugleich ein Antworten ist, «das aufgespannte Ohr Gottes» (Felicitas Hoppe)5.
Wir können die Welt als kalt und leer wahrnehmen. Im Jüdisch-Christlichen ist das Haus der Welt beatmet und im Grund von allem liegt ein Wort. Religionen vermitteln in ihren Schriften und in ihren Ritualen die Erfahrung des Getragenseins. Ihr Versprechen lautet, dass da einer ist, der hört, dass da eine schaut. So lesen wir im Jesajabuch: «Wie eine Mutter, so will ich euch trösten.»6 Gott ist unverfügbar, doch uns zugewandt. Die Dunkelheit durchzieht ein feiner Riss.
Der Tröstergeist
In der christlichen Tradition wird die Kraft des Tröstens dem Geist zugesprochen. In der Geistkraft kommt Gottes Lebensmacht zum Ausdruck. Sie vermag das Verzweifelte und Bedrängte anzusprechen, zu lösen und zu wärmen. Sie vermag – um Al Shahmanis Bild von der Abwesenheit der Seele aufzunehmen – die erstarrte Seele zu berühren und ihr Leben einzuhauchen. Die Körperlichkeit der Bilder, mit denen das Wirken des Tröstergeistes in den christlichen Hymnen und Gebeten7 beschrieben wird – beleben, salben, wärmen, lösen, etc. – knüpft an die alttestamentliche Ruach-Tradition an, in der Gottes Geist mit der Erfahrung des Atmens verbunden ist. Zugleich machen die Bilder darauf aufmerksam, dass Trost eine ganzheitliche Erfahrung ist. Im Roman «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» ist es die Natur, die tröstet; es kann auch eine Umarmung sein, ein Gespräch, ein Gedanke. Die Orte und Formen des Trostes sind vielfältig. Immer aber geht es im Trost um eine Stärkung der Person in ihrem Subjektsein.
Frauentraditionen
In der klassischen Theologie oftmals ein Randthema, war es die Mystik und immer wieder Frauen, die die heilige Geistkraft ins Spiel brachten.8 Man kann mit Hildegund Keul von einer weiblichen Traditionslinie sprechen, die auch die aktuelle Zeit und die grosse Bedeutung der Ruach in Frauenliturgien heute umfasst.9 So steht am Beginn des Christentums Maria, das junge Mädchen, das erschrickt angesichts ihrer Schwangerschaft. Vor der Ehe schwanger zu werden bedeutet noch heute in vielen Weltgegenden für die Frauen Ausgrenzung und Lebensgefahr. Gestärkt durch die Begegnung mit Elisabeth kommt Marias stockender Atem wieder ins Fliessen, und sie singt ein Lied auf Gott. Am Ende der Jesuserzählung treffen wir auf Maria von Magdala, die weinend und weit in die Grabkammer gebeugt (vgl. Johannesevangelium 20,11) in der Dunkelheit der Trauer ein Licht entdeckt. Auch die Mystikerinnen des Mittelalters bezeugen die Erfahrung, dass Menschen in grösster Not und drohender Ohnmacht sich aufrichten und ihre Stimme wiederfinden. «Die grosse Zunge der Gottheit hat mir zugesprochen manch starkes Wort», berichtet Mechthild von Magdeburg (1207-1282).10
Der Tröstergeist – eine Fürsprecherin
Mechthild befürchtete zu verstummen angesichts des Elends, mit dem sie konfrontiert war. In ihrer Arbeit auf der Gasse fand sie ein neues Sprechen, das die Verzweiflung zu Gehör brachte und andere zu trösten vermochte. In ihrer Zuwendung wurde sie den Verzweifelten zum Beistand, zu jemanden, der für sie spricht. Im Johannesevangelium verheisst Jesus den Jünger:innen einen Beistand, den Parakleten. Das griechische Wort Paraklet bezeichnet den Herbeigerufenen wie auch den Tröster. Paraklet ist zudem die Fürsprecherin, die uns beisteht und für uns spricht.
Trost ist uns nicht einfach gegeben, wir müssen nach ihm rufen. Dass es jemand für uns spricht, das Wort, das die Dunkelheit zerreisst.
- Usama Al Shahmani: In der Fremde sprechen die Bäume arabisch, Zürich 4. Aufl. 2019, S. 12.
- Usama Al Shahmani: In der Fremde, S. 35.
- Usama Al Shahmani: In der Fremde, S. 12.
- Usama Al Shahmani: In der Fremde, S. 32.
- Der Ausdruck stammt von der Schriftstellerin Felicitas Hoppe, die in ihrem Beitrag «Beichtkinder» damit die Beichterfahrung in ihrer Kindheit beschreibt. Vgl. Orientierung 72 (2008), S. 1-2.
- Jesaja 66,13 (Übersetzung Bibel in gerechter Sprache).
- Vgl. Hildegard von Bingen: O ignis Spiritus paracliti.
- Eine zentrale Rolle spielt der Trost auch bei Ignatius von Loyola und seinen geistlichen Übungen. Die innerliche Ruhe nach einer Entscheidung, der Trost, ist ein Zeichen dafür, dass der gute Geist wirkt.
- Vgl. Hildegund Keul: Die Gottesrede von Frauen – Gravuren einer geistesgegenwärtigen Theologie, in: Lebendige Seelsorge 56 (2005), S. 76-81.
- Mechthild von Magdeburg: Das fliessende Licht der Gottheit, zit. nach Hildegund Keul: Gottesrede, S. 84.
Bildnachweise: Titelbild: Albula J/photocase; Bild 1: Andreas Krummenacher; Bild 2: iStock/Bonerok; Bild 3: Jesus am Ölberg, wird von Engel getröstet. Öl auf Leinwand (1615); Giovanni Battista Caracciolo, gen. Battistello, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie; Bild 4: Andreas Krummenacher.
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