«…dass die Dinge sich ändern können» – Laudato Si’ (II)

Die Verbundenheit von allem mit allem in der grossen einen Welt wie auch die Verletzlichkeit des Lebens werden in diesen Monaten durch die Pandemie allen schmerzlich vor Augen geführt. Verbundenheit und Verletzlichkeit sind zwei Stichworte, die auch die päpstliche Umweltenzyklika prägten, in der Franziskus 2015 zu globaler Verantwortung und ehrlicher Debatte aufrief und ein neues Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt forderte.

Hautkontakt. Frühgeborenes.

Das Weltenhaus

Die Angewiesenheit und enge Verflochtenheit von allem bringt die Enzyklika Laudato Si’ im Untertitel schon zum Ausdruck durch das Bild des Planeten als gemeinsames Haus.1 Das Erdenhaus ist «Lebensstätte für alle Menschen – und mehr noch: für alle Lebewesen […] in dem alle das gleiche Recht haben, gut leben zu können».2 Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden schränkt jedoch nicht nur die Lebensqualität der Lebewesen ein, sie führt dazu, dass viele um das nackte Überleben kämpfen. Das gemeinsame Haus droht zu veröden.

«Jedes Jahr verschwinden Tausende von Pflanzen und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer» (LS 33).

Der Verlust an Biodiversität – aufgrund des Eigenwerts jeder Kreatur für sich allein schon ein Übel – hat für das gesamte Haus gravierende Folgen. Das Verschwinden selbst kleinster Lebewesen zerstört Nahrungsketten und bringt ganze Ökosysteme ins Ungleichgewicht. Für die betroffenen Menschen bedeutet dies wiederum Armut und Migration. Wer im Überfluss lebt, hat die dramatischen Folgen der ökologischen Krise oft nicht so recht vor Augen. Immer wieder weist Franziskus darauf hin, dass Umweltverschmutzung und Klimawandel die Schwächsten des Planeten in besonderer Weise trifft und bestehende Ungleichheiten vergrössert.3 Die Menschheit steht vor einer einzigen und komplexen sozio-ökologischen Krise (LS 136) und doch spielen die Ärmsten der Armen in den internationalen Umweltdebatten kaum eine Rolle.

Verschwendung von Ressourcen

Der Verlust an biologischer Vielfalt, Umweltverschmutzung und Klimawandel sind grösstenteils von den Menschen verursacht. Der ökologische Fussabdruck der post-industriellen westlichen Gesellschaft ist um ein Vielfaches zu hoch. Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, wie wir produzieren und konsumieren basiert auf einem verschwenderischen Gebrauch natürlicher Ressourcen. Die Beschleunigung trägt das Ihre dazu bei, dass die Höchstgrenzen der Ausbeutung bereits überschritten sind. Die Übernutzung zerstört die Natur und geht auf Kosten anderer. Zur ökologischen Dimension der Krise tritt die soziale und so fragen sich die neuseeländischen Bischöfe:

«was das Gebot, ‹du sollst nicht töten› bedeutet, wenn 20% der Weltbevölkerung Ressourcen in solchem Mass verbrauchen, dass sie den armen Nationen und den kommenden Generationen das rauben, was sie zum Überleben brauchen.» (LS 95)

Die Gefährdung des gemeinsamen Hauses beruht jedoch nicht einfach auf persönlicher Gier oder Verantwortungslosigkeit. Franziskus’ Kritik zielt auf die Ungerechtigkeit einer Weltstruktur. Er spricht von einer perversen Logik, die es zu durchbrechen gelte: die Herrschaft eindimensionaler, technokratischer Rationalität.

Das technokratische Paradigma

Kleinbäuerliche Systeme, so ein Beispiel aus der Enzyklika, geraten weltweit unter Druck. Sie ernähren den Grossteil der Weltbevölkerung und gebrauchen dafür einen verhältnismässig kleinen Anteil an Boden und Wasser (vgl. LS 129). Trotzdem werden sie aus dem Markt gedrängt. Ursache der misslichen Lage des Planeten ist der Siegeszug der instrumentellen Vernunft, oder wie Laudato Si’ es nennt, die Unterordnung aller gesellschaftlicher Bereiche unter ein technologisches Paradigma. Die technisch-rationale Vernunft reflektiert allein auf die Mittel, nicht auf die Ziele. Unfähig, das Ganze in den Blick zu nehmen, zählen allein die unmittelbaren eigenen Interessen.

«Das technokratische Paradigma tendiert auch dazu, Wirtschaft und Politik zu beherrschen. Die Wirtschaft nimmt jede technologische Entwicklung im Hinblick auf den Ertrag an, ohne auf mögliche negative Auswirkungen für den Menschen zu achten. Die Finanzen ersticken die Realwirtschaft. Man hat die Lektionen der weltweiten Finanzkrise nicht gelernt, und nur sehr langsam lernt man die Lektionen der Umweltschädigung.» (LS 109)

Der moderne Mythos vom unbegrenzten Wachstum wie auch die Vorstellung, dass in der Technologie das Heil liege, haben ausgedient. Technik tendiert auf Beherrschung der Natur. Das rein instrumentelle beziehungsweise technische Naturverhältnis zeigt überall sein hässliches Gesicht. «Wenn die Natur einzig als Gegenstand des Profits und der Interessen gesehen wird, hat das auch ernste Folgen in der Gesellschaft» (LS 82), warnt der Papst und fügt an: «Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir.» (LS 83)

Ganzheitliche Ökologie als Gegenmodell

Die komplexe Umweltkrise wie auch das Problem der Armut machen es notwendig, den Horizont zu weiten, interdisziplinär und kreativ zu denken. Es ist gemäss Franziskus notwendig, über die unmittelbaren Interessen hinaus die grossen Ziele wieder in den Blick zu nehmen: Welche Entwicklung wollen wir? Was heisst Lebensqualität jenseits von Wachstum und Konsum, und wie können alle am gesellschaftlichen Leben teilnehmen? Papst Franziskus macht deutlich, dass weitermachen wie bisher nicht geht, weil wir damit «die wahren und tiefsten Probleme des weltweiten Systems [einfach nur] verbergen» (LS 111).

«Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungspro­gramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradigmas bilden.» (LS 111)

Die Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen macht deutlich, dass Umweltschutz keine optionale Haltung ist. Die Erde gehört auch unseren Enkel*innen. Von der Politik erwartet der Papst deshalb nicht bloss «armselige Reden», sondern entschiedenes Handeln. Da «die Umwelt eines jener Güter [ist], die die Mechanismen des Marktes nicht in der angemessenen Form schützen oder fördern können»4, braucht es starke internationale Institutionen und verbindliche Abkommen mit Kontrollmechanismen.

Veränderung von unten

Blick aus dem Ristorante «In Paradiso» auf das San Marco Becken, Venedig

Hoffnung geben Franziskus vor allem die ökologischen Bewegungen und sozialen Aktionen, die der technokratischen Logik vielfältig widerstehen. Der Papst setzt auf die Veränderung von unten. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, die Wirklichkeit zu interpretieren und zu verwandeln. Er will keinen neuen Universalismus. Die ganzheitliche Ökologie denkt lokal, schätzt die kulturellen Reichtümer aller und schenkt insbesondere den indigenen Gemeinschaften Aufmerksamkeit. Franziskus ist überzeugt, dass die Religionen und mystischen Traditionen einen wesentlichen Beitrag zur Sorge für das gemeinsame Haus leisten können. Denn die Umweltkrise ist auch eine spirituelle Krise. Für den Glauben ist die Welt «mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten.» (LS 12) Dankbarkeit und Freude an Gottes Schöpfung schenken Kraft und Motivation für einen sorgfältigen und nachhaltigen Umgang mit dem Erdenhaus und seinen Bewohner*innen.

  1. Papst Franziskus: Laudato Si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, 25. Mai 2015, auf: http://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html (10.04.2020). Die Enzyklika Laudato Si’ wird im Folgenden mit LS und der Abschnittsnummer zitiert.
  2. LS 23. Vgl. Felix Prinz zu Löwenstein: Die globale Ernährung und Laudato Si’, in: Concilium 54 (2018), S. 586-593.
  3. Vgl. Kapitel 1 «Was unserem Haus widerfährt» (LS 17-61) und dazu Angela Büchel Sladkovic: Der Schrei der Erde und der Armen, auf: http://glaubenssache-online.ch/2020/04/14/der-schrei-der-erde-und-der-armen-laudato-si-i/ (31.05.2020).
  4. LS 190. Vgl. auch: «Der Markt von sich aus gewährleistet jedenfalls nicht die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die soziale Inklusion» (LS 109).

     

    Bildnachweise. Titelbild: Olafur Eliasson, «Escaped light landscape», Installation 2020, Kunsthaus Zürich. Bewegliche Linsen, die einen gebündelten Lichtstrahl prismatisch brechen. Die Installation folgt den Gesetzen der Optik und verweist damit auf die elementare Voraussetzung des Sehens. Den Blick schärfen. Foto: kr; Bild 1: iStock/manonallard; Bild 2: iStock/Daynjer-in-Focus; Bild 3: iStock/Dirk-Hinz; Bild 4: iStock/Sanjeri; Bild 5: kr

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