Wie von Gott reden?

Können wir Menschen überhaupt von Gott reden? Ist Gott nicht immer viel «grösser» oder «höher», als dass wir – nur schon im Vergleich zu unserer Galaxie doch sehr kleinen – Menschen etwas über Gott aussagen könnten?

Auch in den biblischen Schriften finden sich Aussagen, die betonen, wie unergründlich Gott für uns Menschen letztlich ist.1 Dennoch wird in der Bibel häufig so geredet, wie wenn Gott quasi ein Mensch wäre: Es wird beispielsweise von Gottes «Auge» und «Ohr», «Arm» und «Angesicht» usw. geredet. Es wird erzählt, dass Gott «umhergeht», etwas «sieht» oder «sagt», «weint» und «etwas bereut», dass Gott «zornig» oder «barmherzig» sei. Solches und ähnliches Reden von Gott nennt man anthropomorphe Rede («menschenförmige Rede»), das heisst, man redet von Gott wievon einem Menschen, genauer gesagt in Analogie zu einem Menschen. Anthropomorphe Rede von Gott ist im Alten Orient das Übliche2 und findet sich auch in griechischer oder römischer Religion / Mythologie.

Reflektierte, metaphorische Rede

Aber aufgepasst: Die altorientalischen Menschen waren nicht dümmer oder naiver als wir, sie hatten Hochkulturen, als wir in Europa und anderswo noch längstens in Höhlen wohnten. Allen, die sich heute ernsthaft mit Ägyptologie oder den Kulturen und Religionen Mesopotamiens befassen, wird klar, dass das anthropomorphe Reden von Gott metaphorisch oder symbolisch zu verstehen ist und nicht wortwörtlich-naiv. Den altorientalischen Menschen war bewusst: Wir sind Menschen und haben keine andere Sprache und keine anderen Bildvergleiche als menschliche Sprache und Bildvergleiche.3

Eine Frage des Symbolverständnisses

Natürlich gab es im Alten Orient auch Menschen, die kein entwickeltes Symbolverständnis hatten und daher die anthropomorphen Bilder wortwörtlich nahmen –, solche Menschen gibt es zu allen Zeiten, man ist versucht zu sagen: besonders auch heute. Aber es gab im Alten Orient und der Antike auch Menschen mit hoch entwickeltem Symbolverständnis. Wir dürfen davon ausgehen, dass jene Menschen, die antike heilige Texte und im Besonderen auch die Bibel schrieben, ein sehr hoch entwickeltes Sprach- und Symbolverständnis hatten. Vom Sprach- und Symbolverständnis eines Menschen aber hängt es – auch heute – wesentlich ab, wie er biblische Texte und Bilder versteht oder eben missversteht. Dies ist keine Frage der Intelligenz: Selbst in anderen Bereichen sehr gebildete Leute können eine Blockade haben, wenn sie biblischen Texten begegnen.

Keine oberflächlichen Einschätzungen

Der sonst philosophisch geschulte Mittelalterspezialist Kurt Flasch liest zum Beispiel die Genesistexte – wenn es in seine den christlichen Glauben ablehnende Argumentation passt – in peinlicher Weise wortwörtlich:

«Wäre Gott noch ein physischer Organismus – das muß er einmal gewesen sein, ging er doch, wie die Genesis erzählt, bei Abendwind im Garten spazieren, was auch ein Gott nicht ohne Körper kann, und daß das ‹bildlich› gemeint sei, ist späte, philosophieentsprungene Umdeutung […]»4

Dem ist deutlich zu widersprechen: Die Aussagen der Genesistexte sind von den Schreibenden in biblischer Zeit sehr wohl bildlich / metaphorisch gemeint gewesen! Wer die Erzählung von Adam, Eva und der Schlage in Genesis 2,25–3,24 nicht nur oberflächlich, sondern ernsthaft liest, merkt schnell: Hier haben Menschen zur biblischen Zeit sehr tiefsinnig und auch humorvoll über das Menschsein und über ihr Gottesbild philosophiert und ihren Glauben an Gott in erzählender Weise zum Ausdruck gebracht.5 Ihnen zu unterstellen, sie wären dümmer oder weniger differenziert denkend gewesen als wir, ist schlicht ignorant.

Grundsätzliche Möglichkeiten

Welche sprachlichen Möglichkeiten haben wir Menschen, wenn wir den Glauben an Gott formulieren wollen?6 Formal kann man beim Reden über Gott zum einen unterscheiden, in welcher Art und Weise von Gott geredet wird. Vor allem drei Arten sind verbreitet:

a) Rede, die in abstrakten Begriffen von Gott spricht: Gott ist «Liebe» (1. Johannesbrief 4,16), Gott ist «Geist» (Johannesevangelium 4,24), Gott ist «Freiheit», Gott ist der «Ursprung allen Lebens», Gott ist der «ganz Andere», Gott ist «das, worüber hinaus wir nichts Grösseres denken können», Gott ist «das Gute schlechthin» usw. Der Vorteil solcher abstrakter Rede ist, dass nicht allzu menschlich von Gott geredet wird. Andererseits bleibt solches Reden halt häufig «unkonkret», eben abstrakt.

b) Rede, die narrativ oder poetisch von Gott spricht: in Erzählungen, Gleichnissen, Mythen, Gedichten usw. Auch solch narratives Reden über Gott – wie es im Alten Orient und den biblischen Schriften üblich war – geschieht im Bewusstsein, dass man damit natürlich nicht aussagt, was Gott wortwörtlich tut oder sagt etc., sondern vielmehr gleichnishaft von Gott spricht. Der Vorteil der narrativen Rede ist, dass sie zum Nacherzählen, Weitererzählen, zum Fragen und Interpretieren einlädt, da gute Erzählungen immer auch interpretationsoffen sind.

c) Rede, die sich an Gott wendet:7 In Gebeten, Liedern, Gedichten wenden sich Menschen immer schon an Gott. Meistens wird Gott dabei mit einem «Du» angesprochen, was vom Stil her der narrativen oder poetischen Rede entspricht. Manchmal finden sich aber auch Gebete oder Lieder, die mit abstrakten Begriffen von Gott reden (beispielsweise das Taizé-Lied: «ubi caritas et amor, deus ibi ist» – «wo tätige Güte / tätige Solidarität und Liebe ist, da ist Gott»).

Wo setzen wir an?

Weiter kann unterschieden werden, wo man mit der Rede von Gott ansetzt: a) bei Gott; b) bei der Natur / Schöpfung / beim Universum; c) beim Menschen.

a) Wenn man mit der Rede über Gott bei Gott selbst ansetzt, formuliert man zum Beispiel so, wie wir es im Genesisbuch oft antreffen: «Dann pflanzte Gott in Eden einen Garten…» (Genesisbuch 2,8); «Und Gott sprach zu Abram: Geh aus deinem Land […] du sollst ein Segen sein» (Genesisbuch 12,1f).

b) Wenn man mit der Rede über Gott bei der Natur ansetzt, sagt man beispielsweise: «Die Natur, das Universum ist ein Wunder. Eine höhere Macht hat sie hervorgebracht.» In biblischer Sprache finden sich Formulierungen wie: «Wie zahlreich sind deine Werke, Gott. Du hast sie alle in Weisheit gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen» (Psalm 104,24).

c) Wenn man mit der Rede über Gott beim Menschen, genauer beim «Ich» (bei meinem Personkern, meinem Selbst), ansetzt, sagt man beispielsweise: «Wenn ich wirkliche Stille erfahre oder wenn ich Liebe erfahre, staune ich, und ich komme zur Überzeugung, dass es mehr gibt, als wir naturwissenschaftlich messen und beweisen können. So wächst in mir der Glaube an Gott.»

Bei all diesen Ansätzen muss zudem gefragt werden: Wie bewusst sind sich die Menschen / die Glaubensgemeinschaft, dass sie als Menschen von Gott reden? Dieses Bewusstsein hatte in philosophischer Hinsicht Immanuel Kant (1724-1804) mit der Frage, welche Möglichkeiten wir als Menschen überhaupt haben, um Erkenntnisse zu erlangen, wissenschaftlich grundgelegt. Für die Theologie betonten dies in hervorragender Weise Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und Karl Rahner (1904-1984). Sie setzten explizit bei den menschlichen Möglichkeiten des Erkennens und Glaubens an.

Inspiration: Gottes Wort in Menschenworten

Bei dem bisher Gesagten wurde das Augenmerk auf die menschlichen Möglichkeiten, von Gott zu reden, gelegt. In anderen Beiträgen soll auf den Glauben eingegangen werden, dass Gott im und durch den Menschen spricht, dass die biblischen Schriften so gesehen eine «zweifache Autorschaft» haben: Betont wurde dies in der Katholischen Kirche im 2. Vatikanische Konzil, das zwischen Gott als «Urheber» und den Menschen als den «echten Verfassern» der Heiligen Schriften unterscheidet (Dei Verbum 11). Diese Unterscheidung ist getragen vom Glauben, dass die konkreten Menschen, welche die biblischen Schriften in ihrer konkreten Zeit schrieben, von Gottes Geist «angehaucht» waren, und daher «Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat» (Dei Verbum 12).

Von reformierter Seite hat der ehemalige Berner Pfarrer und Dichter Kurt Marti (1921-2017) das Zusammenwirken von göttlicher Stimme in menschlichen Stimmen in einem Gedicht grossartig in Worte gefasst:

1

Ein Buch?
Mehr noch: eine Bücherei!
66 verschiedene Bücher
von nicht nur 66 verschiedenen Autoren,
denn manch eines enthält
(nach Art der hölzernen Babuschkas)
in sich wiederum
drei, vier kleinere Bücher verschiedener Autoren.

2

Nicht zu vergessen
die namenlosen Scharen
späterer Bearbeiter, Ergänzer, Verknüpfer,
der fromme Fleiß ihrer minutiösen Text-Finissage
während rund eines Jahrtausends
jüdisch-urchristlicher Geschichte.

3

Allmählich entstand so:
ein Bücherbuch vieler Stimmen,
die nacheinander, nebeneinander,
durcheinander,
gegeneinander,
miteinander
reden, singen, murmeln, beten.

Dissonanzen? Jede Menge.
Widersprüche? Noch und noch.
Kein ausgeklügelt Buch.
Hundert-Stimmen-Strom
(selbst Schriftgelehrte ermessen ihn nicht) –
wohin will er tragen?
Über Schwellen, Klippen, Katarakte
heimzu, heilzu (hoff ich).

4

Merklich oder unmerklich nämlich
strömen die verschiedenzeitlichen Stimmen
denn doch
und stets wieder
zu EINER Stimme zusammen:
«Das Wunder dieses Zusammenfließens
ist größer als das Wunder
eines einzigen Autors.“
(Emmanuel Levinas)

5

Viel-Stimmen-Buch also,
geselliges Buch
(geselligstes der Weltliteratur!):
in ihm wird
die EINE,
die verläßliche Stimme
der geselligen Gottheit laut.8

  1. Vgl. etwa Jesaja 40,13; 55,8f.; Psalm 139,17f.; Philipperbrief 4,7; Römerbrief 11,33-36.
  2. Vgl. Angela Büchel Sladkovic: «Liquid spirit» – die kreative Kraft christlicher Gottesrede, auf: http://glaubenssache-online.ch/2018/03/25/liquid-spirit (25.3.2018); Jürgen van Oorschot: Anthropomorphismus, auf: https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/13433/ (12.1.2017).
  3. Vgl. Annette Schellenberg: Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich 2011, S. 250-259.
  4. Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation, München 2013, S. 143.
  5. Vgl. André Flury: Adam und Eva – oder vom Nacktsein, auf: http://glaubenssache-online.ch/2018/04/18/adam-eva-oder-vom-nacktsein (28.4.2018).
  6. Zur Frage, was Glauben bedeutet, vgl. André Flury: Glauben heisst …, auf: http://glaubenssache-online.ch/2019/11/13/glauben-heisst (13.11.2019).
  7. Vgl. Isabelle Senn: Betend Gott begegnen, auf: http://glaubenssache-online.ch/2019/05/29/betend-gott-begegnen (29.5.2019).
  8. Aus / © Kurt Marti: Die gesellige Gottheit. Ein Diskurs, Stuttgart 1989, S. 10-12.

     

    Bildnachweise. Titelbild: Jonathan Simcoe/unsplash; Bild 1: iStock/draganab; Bild 2: iStock/NieseriN; Bild 3: iStock/kieferpix; Bild 4: Arthur-Hickinbotham/unsplash; Bild 5: iStock/francescoch

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