Wie bitte? – Gott offenbart sich

Menschen sind findige Wesen: Mit Verstand und Sinnen erschliessen sie sich die Welt und lernen dabei immer mehr über Prozesse in der Natur, über Dynamiken im menschlichen Zusammenleben sowie über persönliche Entwicklungen. Lässt sich in all dem auch Gott finden? Und wenn ja: Was erfahren Menschen über ihn?

Manch eine:r lässt sich von einem Naturschauspiel – der leuchtrot untergehenden Sonne; der klaren Spieglung eines Gipfels im Bergsee; einer zarten Blüte, die den letzten Schnee durchbricht; einem Spinnennetz, in dem die Tautropfen des frühen Morgens glitzern – berühren und erahnt in solchem Geschehen Göttliches. Auch Momente einer bereichernden Begegnung, der Liebe zwischen zwei Menschen oder eines gemeinsam gemeisterten Stücks Leben können Gotteserfahrungen genannt und in diesem Sinne auch als Offenbarungen Gottes gedeutet werden. Wer mit offenen Sinnen und weitem Herzen durchs Leben geht, kann mit dem Jesuiten Alfred Delp (1907-1945) gar sagen: «Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.»

Hochsommer in Finnland.

Was der Glaube in dieser Weise erfährt und auf den Punkt bringt, klingt religionsphilosophisch betrachtet alles andere als alltäglich: Hier wird im Grunde gesagt, dass das, was unser Verstehen und Wahrnehmen absolut übersteigt, in die Welt einbricht und damit in unserem Erfahrungshorizont aufleuchtet. Dass Gott sich offenbart, ist also kein natürlicher Vorgang. Denn auch wenn in der Natur Göttliches aufscheint, so ist die Natur selbst doch nicht Gott. Ist nun aber das, was uns Gott – durchaus durch die Natur – wahrnehmen lässt, mehr als blendendes Licht und unsagbare Herrlichkeit? Was lässt sich über Gott sagen? Und vor allem: Was sagt uns Gott?

Belehrung oder Begegnung?

Lange Zeit war in der Kirche unstrittig, wo man hinhören musste, um Gottes Wort zu vernehmen: In einer unsteten Welt war das Lehramt der Kirche, vor Ort verkörpert durch den Klerus, zuständig für die getreue Übermittlung all dessen, was Gott der Menschheit anvertraute. Weil es bei der Offenbarung Gottes nicht einfach um persönliche Glaubenserfahrungen geht, sondern Gottes Selbstmitteilung dem Heil der Menschen dienen sollte, war man sich einig, dass es für alle Gläubigen absolut wichtig sei, über Gottes Botschaft gut informiert zu sein, um sich im Leben (und im Sterben) «richtig» verhalten zu können. Offenbarung gestaltete sich unter diesen Voraussetzungen als vollmächtige Belehrung. Die Lehrer der Kirche waren bemüht, alle Glaubenserkenntnisse in einem System zu erfassen und dieses für den Bedarf der «einfachen» Gläubigen zu elementarisieren. Dabei drohte jedoch unterzugehen, dass Gottes Offenbarung eigentlich personale Begegnung ist – und nicht amtliche Instruktion.

Versäumte Predigt. Franz Schams

Die Bibel ist voll von Erzählungen der Begegnung von Gott und Mensch(en). Im «Buch der Bücher» beziehungsweise in den verschiedenen Büchern dieses Buches kommen zahlreiche Menschen zu Wort, die Zeugnis ablegen von ihren Erfahrungen mit Gott. In ihren Schriften geben sie zu verstehen, was sie von Gott verstanden haben. Und die Gemeinschaft der Glaubenden hat diese biblischen Schriften über die Jahre und Jahrhunderte weitergegeben in der Überzeugung, dass das, was in den einzelnen Zeugnissen steht, Wesentliches über Gott verrät.

Engel im werden. Mensch im werden.

Jesus von Nazareth

Die Menschen, die Jesus von Nazareth nachfolgten, sind zum Glauben gekommen, dass er der Messias (Gesalbte) Gottes ist und Gott sich in seinem Leben und Sterben den Menschen gezeigt hat. Somit lässt sich sagen: Dieser Jesus offenbart nicht nur Gott, sondern er ist Gottes Offenbarung in Person. Was ist nun aber mit dieser Erkenntnis gewonnen? Zunächst lässt sich festhalten, dass Gottes Offenbarung nicht ein besonderes Wissen ist, das es auswendig zu lernen gilt. Gott teilt dem Menschen nicht etwas von oder über sich mit, sondern er hat «in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren», wie es das Zweite Vatikanische Konzil festhält.1 Zu seiner Selbstoffenbarung wählt Gott ein Menschenleben, so dass das Johannesevangelium Jesus sagen lässt: «Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.» (Johannesevangelium 14,9). Es liesse sich auch umformulieren: Wer Jesus von Nazareth begegnet ist, dem ist Gott nahegekommen.

Welche Botschaft mit diesem Ereignis von Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus verbunden ist, umschreibt Paulus, einer der ersten Glaubenszeugen, mit folgenden Worten: «Denn Gottes Sohn Jesus Christus, der euch durch uns verkündet wurde […], ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen; in ihm ist das Ja verwirklicht. Denn er ist das Ja zu allem, was Gott verheissen hat.» (2 Korintherbrief 1,19f). Gottes Offenbarung in Jesus Christus ist somit eine Zusage und Verbürgung Gottes selbst zugunsten der von Gott ins Dasein Gerufenen.

Gott ist und schafft Kommunikation

Es kommt bei Gottes Offenbarung nicht alleine auf den Inhalt an. Inhalt und Vorgang der Selbstoffenbarung entsprechen sich: Indem Gott sich mitteilt, teilt er sich mit. Erfahrungen der zwischenmenschlichen Kommunikation verdeutlichen, wie das gemeint ist: Wenn mir jemand etwas erzählt, erfasse ich dabei nicht nur gewisse Inhalte. Während ich zuhöre, lerne ich auch einiges über mein Gegenüber. Und umgekehrt teile auch ich immer etwas (oder gar sehr viel) von mir selber mit, wenn ich kommuniziere – vom Äusseren über die Stimmlage, Wort- und Themenwahl bis hin zur Mimik und Gestik: In all dem tue ich – auch – mich selbst kund. Dabei kann es vorkommen, dass nicht auf allen Ebenen «dieselbe Sprache» gesprochen wird und mein Gegenüber meine eigentliche Botschaft missversteht. Kommunikation ist mehrdeutig. Wo Menschen sich einander mitteilen, gibt es keine Garantie für Eindeutigkeit.

Zwillinge

Bei Gott scheint alles noch komplexer: Wenn Gott heute spricht, nehmen wir mit unseren Sinnen nicht direkt ein menschliches Gegenüber wahr. Und doch erahnen wir in dem, was uns in zwischenmenschlichen Begegnungen entgegentritt, zuweilen Göttliches. Dass und weshalb sich Gott als Leben schaffende und die Schöpfung bejahende Wirklichkeit in unsere Realität hinein(ver)spricht, versucht die christliche Theologie in der Trinitätslehre auszubuchstabieren – wobei ihr dafür nicht selten die geeigneten Worte fehlen. Gott wird dreifaltig gedacht und ist folglich in sich selbst Beziehung. Traditionell gesprochen sind die drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist zusammen – und nur so – Gott. Als Personen ist ihr Verhältnis ein kommunikatives, woraus sich umgekehrt schliessen lässt: Wenn Gott sich der Welt mitteilt, so gibt er:sie nicht einfach Einblick in die göttliche Wirklichkeit (im Sinne einer Information). Vielmehr wäre Gottes Offenbarung dann so zu verstehen, dass Gott sich darin selbst vollzieht, indem er:sie gegenüber der Schöpfung tut, was auch «innergöttlich» geschieht: Gott kommuniziert und teilt sich mit – als Quelle und Ziel allen Seins, als Wegbegleitung und Gegenüber, als Lebenskraft und Inspiration. Sich von diesem Gott ansprechen und ins Gespräch ziehen zu lassen, eröffnet dem Menschen eine Lebens- und damit eine Heilsperspektive.

Dreifaltigkeit, leicht verschwommen. Foto: knallgrün

Hörer:innen des Wortes

Die Überzeugung, dass jeder Mensch grundsätzlich ansprechbar ist für Gottes Selbstmitteilung, bringt der Theologe Karl Rahner (1904-1984) in der Formel vom «Hörer des Wortes» auf den Punkt. Kein Mensch kann sich selbst ergründen. Der Ruf ins Leben geht jedem menschlichem Selbstvollzug voraus, und die eigene Herkunft bleibt im Letzten unverfügbar. Der Mensch erfährt sich, so Rahner, als transzendentes (sich selbst überschreitendes) Wesen. Ausgehend vom Gedanken, dass Gott die Schöpfung mittels Worte in ihr Dasein gerufen hat (vgl. Genesis 1), lässt sich auch die menschliche Existenz auf einen Zuspruch Gottes zurückführen. Gleichzeitig motiviert die Feststellung, dass Menschen kommunikative Geschöpfe sind, dazu, Menschen nicht nur als Worte Gottes zu sehen, sondern ihnen auch die Fähigkeit zuzuschreiben, auf Gottes Sprechen kommunikativ zu reagieren: hörend, deutend, bezeugend, nachsprechend, weitersagend, antwortend.2. Offenbarung Gottes wird vor diesem Hintergrund zu einem fortsetzbaren Übersetzungsvorgang:3 Menschen fassen – von Gottes Geist dazu inspiriert – ihre Erfahrungen, vom Göttlichen ergriffen und «bedingungslos anerkannt»4 zu sein, in Worte. Diese Worte wiederum werden schriftlich festgehalten und mündlich weitergegeben – in der Erwartung, dass solchen Worten ihrerseits die Geistkraft innewohnt, Menschen zu berühren und zu bewegen.

Sehen heisst hören. Gemalte Gefühle.

Geheimnisvoll nahe

In der zwischenmenschlichen Kommunikation machen wir die Erfahrung, dass Menschen sich nicht auf einen Nenner bringen lassen. Selbst wenn man es wollte, gelingt es nicht, sich dem Gegenüber restlos zu offenbaren, geschweige denn, ein Gegenüber gänzlich zu erfassen. Der Arzt und Theologe Albert Schweitzer (1875-1965) fasst diese Erkenntnis in folgende Worte:

«Überhaupt, ist nicht in dem Verhältnis des Menschen zum Menschen viel mehr geheimnisvoll als wir es uns gewöhnlich eingestehen? Keiner von uns darf behaupten, dass er einen andern wirklich kenne, und wenn er seit Jahren täglich mit ihm zusammenlebt. Von dem was unser inneres Erleben ausmacht, können wir auch unseren Vertrautesten nur Bruchstücke mitteilen. Das Ganze vermögen wir weder von uns zu geben, noch wären sie imstande es zu fassen. Wir wandeln miteinander in einem Halbdunkel, in dem keiner die Züge des andern genau erkennen kann.»5

Mit Haut und Haar leben.

Wir sind unterwegs – auf unserem je eigenen Lebensweg. Dabei begegnen wir andern, unsere Wege kreuzen sich oder aber wir schreiten Seite an Seite weiter. Das Unterwegssein prägt. An uns selbst und an unseren Weggefährt:innen entdecken wir stets neue Seiten, ohne dass wir uns und sie jemals ganz durchblicken.

Auch Gott, von dem Menschen immer wieder sagen, dass er sich ihnen als treuer Weggefährte erfahrbar gemacht hat, enthüllt sich uns nie restlos. Im Letzten bleibt Gott in und trotz seiner Offenbarung Geheimnis. Weil Gott Leben verspricht und zuspricht, lohnt es sich, diesem Geheimnis ein Leben lang auf der Spur zu bleiben.

  1. Offenbarungskonstitution Dei Verbum, Nr. 2 (Hervorhebung I.S.), vgl.: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651118_dei-verbum_ge.html (5.9.2020).
  2. Vgl. mit Blick auf das Gottesverhältnis: Isabelle Senn: Betend Gott begegnen, auf: http://glaubenssache-online.ch/2019/05/29/betend-gott-begegnen/ (5.9.2020)
  3. Vgl. Jürgen Werbick: Art. Offenbarung VI. Systematisch-theologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 3. Auflage, Freiburg i. Br. 1993, Sp. 993-995, hier 995.
  4. So umschreibt Christoph Böttigheimer das christlich verstandene Heil im Kontext der Gegenwart. Vgl. Bedingungslos anerkannt. Der Beitrag des Glaubens zur Persönlichkeitsbildung, Freiburg i. Br. 2018.
  5. Albert Schweitzer: Selbstzeugnisse: Aus meiner Kindheit und Jugendzeit. Zwischen Wasser und Urwald. Briefe aus Lambarene, 8., unveränderte Auflage, München 1988, S. 57.

     

    Titelbild: Dreifaltig. Foto: knallgrün / photocase.de. Bild 1: Regenbogen. Hochsommer in Finnland. Foto: iStock/petejau. Bild 2: Franz Schams: Die versäumte Predigt – Ein junges Paar wird vom Pfarrer zurechtgewiesen. Öl auf Leinwand 1883; Artnet / Nagel. Foto: Wikimedia Public Domain. Bild 3: Paul Klee: Engel im werden, Mensch im werden, Öl auf Leinwand auf Holz, ~ 1934, Zentrum Paul Klee, Bern, Wikimedia Public Domain. Bild 4: Geburt. Foto: iStock/SanyaSM. Bild 5: Zwillinge. Foto: iStock/gpointstudio. Bild 6: Sehen heisst hören. Gemalte Gefühle. Franz Marc: Die Kleinen Blauen Pferde. Öl auf Leinwand, 1911. Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart. Foto: Wikimedia Public Domain. Bild 7: Leben. Mit Haut und Haar. Foto: iStock/Tunatura

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