Denkt neu!

Unglaublich, wie Bibeltexte ganz neu klingen können. «Denkt neu und vertraut der guten Nachricht» ist eine etwas andere Übersetzung von Markus 1,14: «Kehrt um und glaubt an das Evangelium.» Wenn Jesus zur Umkehr ruft, geht es nicht um rituelle Busspraxis, sondern tatsächlich um eine neue Sicht der Welt: «Das Reich Gottes ist da! Kehrt um, denkt neu. Habt Vertrauen.»

Umdenken – neu denken

Der griechische Ausdruck Metanoia, der im Markusevangelium gebraucht wird, meint zuerst einmal ein Umdenken, eine Neuausrichtung des Denkens. Vielen bekannt ist wahrscheinlich der verwandte Begriff Paranoia, der eine Verwirrung des Geistes anzeigt. Das Umdenken, zu dem Jesus aufruft, bezieht sich auf Gott und die religiöse Ordnung. Jesus lädt ein, darauf zu vertrauen, dass Gott da ist, den Menschen zugewandt, geheimnisvolle Freundlichkeit, unendliche Barmherzigkeit. Dieses Gottdenken ordnet die Welt neu, rückt vieles in ein anderes Licht und führt ins Handeln. Wichtiges kann unwichtig und Randständiges zum Zentrum werden.

Gerade im religiösen Kontext wird Umkehr gerne mit Zerknirschung, Reue und Busse verbunden. Es gibt eine starke asketische Tradition, die Umkehr mit Verzicht und einer Abkehr von «weltlichen Dingen» verknüpft. Dem gegenüber ist Jesu Umkehrruf die Einladung zu neuem Leben, zu einem Neuanfang trotz und in allen Brüchen – ohne jede Vorleistung. «Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst», steht treffend im Buch der Offenbarung (22,17). Jesus legt den Fokus nicht auf das Ungenügen der Menschen, sondern auf Gottes Reich und die verborgene Fülle an Leben. Wo will sich diese zeigen? Wo kommt uns Gott im Alltag entgegen?

Die Zeit drängt

Jesus unterscheidet sich in seiner Verkündigung von asketischen Busspredigern wie Johannes der Täufer, von dem er sich im Jordan taufen lässt. Man nennt ihn einen Fresser und Säufer, einen Freund der Gesetzlosen und Prostituierten.1 Doch eines hat er mit dem Rufer in der Wüste gemeinsam: die Zeitansage. Es ist in ihren Augen höchste Zeit. Beide sind sie überzeugt, dass es so nicht weitergehen kann.

«Wie sein Vorbild Johannes der Täufer geht […Jesus] davon aus, dass nichts stimmt. Das übliche Leben ist falsch. Es steht unter der Herrschaft der falschen Mächte und folgt falschen Regeln. Israel muss jetzt das Steuer herumreissen, so predigt der Täufer.»2

Johannes der Täufer (Leonardo da Vinci um 1513)

Als Krisenzeit erinnert das 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung an heute. Der prekäre Zustand des Planeten wie auch die extreme Armut weltweit machen deutlich, dass ein radikaler Kurswechsel und ein neues Denken dringend gefordert sind.

Prophetische Kritik in der Krise

In der ökologischen Krise lässt sich seit 2018 eine Stimme vernehmen, die den Mächtigen ins Gewissen redet. Sie erinnert in ihrer Unerschrockenheit und Klarheit an Johannes den Täufer und gehört einer Jugendlichen. «Wie könnt ihr es wagen», fragt Greta Thunberg und wirft in ihrer Rede vor der UNO den anwesenden Staats- und Regierungschefs sichtlich aufgewühlt vor, ihre Verantwortung nicht wahrzunehmen und mit leeren Worten die junge Generation im Stich zu lassen. Johannes rief der Führungselite seiner Zeit, den Pharisäern und Sadduzäer, ihr Versagen ebenfalls in aller Schärfe entgegen:

«Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorn­gericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben [ja] Abraham zum Vater.» (Matthäusevangelium 3,7-9)

Greta Thunberg

Die Berufung auf Abraham wird ebenso als Ausrede und Selbsttäuschung entlarvt wie das «Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum» und der Glaube, man könne «das Problem mit einem Weiter-so und einigen technischen Massnahmen lösen»3. Die Politiker*innen seien nicht «reif genug zu sagen, wie es ist», stellt die jugendliche Thunberg klar, doch der Wandel werde kommen, ob es passe oder nicht.

Ökologische Umkehr

Was ist der christliche Beitrag zur ökologischen Umkehr?4 Ganz im Sinn von «vertraut dem Evangelium» sind es die Ermutigung und die Freude, sich auf das radikal Andere der Gottesherrschaft einzulassen, die manche Wertigkeiten verrückt und Kleine gross macht. Neu zu denken ist Gottes Interesse an allem, was lebt – den Pflanzen, Insekten und allen Galaxien – und was daraus folgt für uns Menschen. «Wenn wir uns […] allem, was existiert, innerlich verbunden fühlen, werden Genügsamkeit und Fürsorge von selbst aufkommen», so Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika Laudato Si.5

  1. Vgl. Matthäusevangelium 11,19; Lukasevangelium 7,34.
  2. Joachim Kügler: «Kehrt um und glaubt an das Evangelium!» in: Bibel heute 51 (2015), S. 19.
  3. Greta Thunberg in ihrer Rede in New York am 23. September 2019.
  4. Vgl. dazu das Kapitel «Die ökologische Umkehr» in der Umweltenzyklika Laudato Si, Nr. 216-222.
  5. Papst Franziskus: Laudato Si, Nr. 11.

     

    Bildnachweise:

    Titelbild: iStock, francescoch / Bild 1: iStock, stockstudioX / Bild 2: Leonardo da Vinci – Johannes der Täufer, datiert zwischen 1513-1516, Öl auf Holz, Louvre Paris; Bild via wikimedia commons / Bild 3: Greta Thunberg, Rede bei der Earth-Strike-Abschlusskundgebung in Montréal am 27. September 2019, Foto: wikimedia, Lëa-Kim Châteauneuf / Bild 4: Das Neue kommt in Wehen auf die Welt. Foto: photocase.de, macroart

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