Es war ein vielbeachteter, inspirierender und nicht zuletzt kontrovers diskutierter Auftritt. Vor 30 Jahren präsentierte die koreanische Theologin Chung Hyun Kyung an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra eine Anrufung des Heiligen Geistes, in welcher sie die Schreie der Menschen und der ganzen Schöpfung eindrücklich zum Ausdruck brachte.
Hyun Kyungs Beitrag war ungewöhnlich, da sie nicht so sehr über den Geist referierte, sondern begleitet von Trommeln und Tänzen der Aborigenes und mit Hilfe von Ritualen eine ganzheitliche Theologie präsentierte.1 Die Theologin eröffnete ihre Rede mit einer Art Litanei. Beginnend bei der Sklavin Hagar, die von Abraham und Sara verstossen wurde, bis zu Jesus, dem Bruder und Befreier, der am Kreuz gefoltert wurde, rief sie den Geist von Menschen herbei, die in Geschichte und Gegenwart für Gerechtigkeit kämpften. Sie forderte dazu auf, in der Kraft des Geistes der «Kultur des Todes» ein Ende zu bereiten und für ein Leben einzutreten, das in Solidarität mit allen Lebewesen gelebt wird.
Wider die Kultur des Todes und der Zerstörung
Am 7. Februar 1991, als die Kirchen sich in Canberra versammelten, tobte ein Krieg. Hyun Kyungs Co-Referent, der orthodoxe Patriarch Parthenios von Alexandrien, konnte nicht einreisen, da die USA den Irak bombardierten. Der Golfkrieg wurde von Präsident Bush (wie auch von der Gegenseite) unter anderem theologisch legitimiert. Gegen diesen Missbrauch des göttlichen Namens und gegen Gott als Problemlöser und stärksten Krieger, hielt Hyun Kyung fest: «Ich verlasse mich jedoch auf den barmherzigen Gott, der inmitten der grausamen Zerstörung des Lebens mit uns um das Leben weint.»2 Der Geist, so schreibt es Paulus, tritt für uns ein «mit unaussprechlichen Seufzern» (Römerbrief 8,26), wenn die ganze Schöpfung unter dem Geruch des Todes sich ängstigt.
Der Geist des barmherzigen Gottes, so die Theologin in der Tradition der hebräischen Bibel, ist lebenspendender Atem. Seit Anbeginn der Welt durchzieht Gottes Ruach (her life-giving breath) das Universum. «Heute sehen wir jedoch um uns die Zeichen des Todes. Der Wind des Todes droht uns zu ersticken. Was ist es, das uns von diesem lebensspendenden Atem Gottes trennt?»3 Hyun Kyung, die mit verschiedenen biblischen Texten spielt, sieht den Grund in der grenzenlosen Gier nach Besitz und Macht. Der «unheilige Geist von Babel» sei ein Geist der Spaltung, der die Menschen der Fähigkeit beraubt, miteinander zu fühlen und füreinander zu leben.
Pfingsten – Mystik und Widerstand
Die ganze Schöpfung stöhnt und leidet. Und doch sind wir nicht Gefangene der Verzweiflung oder des Zynismus. Wir sind keine hilflosen Opfer des Systems. Gott ruft uns, das Leben zu wählen. Dies zeigt in besonderer Weise Pfingsten. Für die Jüngerinnen und Jünger verwandelte sich an Pfingsten der «Alptraum, Zeugen von Jesu Tod zu sein»4 in die Vision einer neuen Welt.
«Das Brausen des gewaltigen Windes und Gottes Lebensfeuer hat sie aus der Kultur des Schweigens, der Gewalt und des Todes herausgerufen und sie dazu gebracht, in ihrer eigenen Sprache zu sprechen. […] Jetzt können sie einander hören und auch verstehen, und zwar nicht in der Einheitssprache des römischen Reiches, sondern in der Vielfalt ihrer eigenen Sprachen. Es war eine Sprache der Befreiung, der Verbindung und der Vereinigung von unten.»5
Pfingsten ist die befreiende Erfahrung und Ermächtigung, in die je eigene Sprache zu finden und damit Welt zu gestalten. Ich werde fähig, das Leben um mich in Worte zu fassen und so auf die Ereignisse zu antworten und Handlungsoptionen zu suchen. An Pfingsten wird der Geist der Trennung aufgebrochen auf die Welt und die anderen hin.
Verbundenheit und Mitgefühl
Wie viele feministische Theologinnen betont auch Chung Hyun Kyung die Mitwirkung und Verantwortung der Menschen in bezug auf die göttliche Neuschöpfung der Welt. Doch sie spricht keineswegs einem Aktivismus das Wort. Es geht um «Mystik und Widerstand», um ein Wort von Dorothee Sölle zu benutzen. Es ist ein Handeln aus der Stille, aus der Verbundenheit und Einheit mit allem. «Die Erde ist ‹ein von Gott behauchter› und ‹von Gott durchtränkter› Ort.»6 Es braucht ein achtsames Hinhorchen in die Welt und die Schöpfung, um die Lebenskraft des Geistes aufzunehmen. Hyun Kyung fordert denn auch einen dreifachen Wandel: vom Anthropozentrismus zur Hinwendung zum Leben (life centrism), vom herrschenden Dualismus zum vernetzten Denken und – wie schon erwähnt – von der Kultur des Todes zur Kultur des Lebens. Leben ist keine individuelle Leistung und kein Privatbesitz, sondern das Geheimnis des Verbundenseins und der gegenseitigen Angewiesenheit.
Immer wieder kommt die asiatische Theologin auf das Mitgefühl zu sprechen, das in ihrer Kultur eine solch herausragende Bedeutung hat.7 Menschen, die mitfühlen und mitleiden, suchen das Gute nicht allein für sich. Mitleidende Weisheit vermag Trennungen zu überwinden und Wunden zu heilen. Und so schliesst Chung Hyun Kyung ihren Beitrag mit den Worten:
«Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns mit der Energie des Heiligen Geistes alle trennenden Mauern niederreissen und der ‹Kultur des Todes› ein Ende bereiten. Und lasst uns […] für ein Leben auf dieser Erde kämpfen, das in Solidarität mit allen Lebewesen gelebt wird, und eine Gemeinschaft für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aufbauen. Wilder Wind des Heiligen Geistes blase uns an, lasst uns ihn willkommen heissen, lasst uns in seinem wilden Rhythmus des Lebens voranschreiten. Komm, Heiliger Geist – erneuere die ganze Schöpfung! Amen.»8
- Vgl. Chung Hyun Kyung: «Komm, Heiliger Geist – erneuere die ganze Schöpfung», in: Elisabeth Moltmann-Wendel (Hrsg.): Die Weiblichkeit des Heiligen Geistes. Studien zur Feministischen Theologie, Gütersloh 1995, S. 171-182.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 174.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 174.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 176.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 176.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 178.
- Hyun Kyung bezieht sich auf die buddhistische Erzählung vom Bodhisattva bzw. auf deren koreanische Version. In der Volksreligiosität Koreas wird Kwan In als Göttin des Mitleidens verehrt. Bodhisattva bzw. Kwan In gelten als erleuchtete Wesen, die ihre Erleuchtung zum Heil aller einsetzen. Sie weigern sich, ins Nirwana einzugehen, bevor alle Lebewesen erlöst sind. Hyun Kyung erkennt darin ein Bild für Christus. Westliche und auch orthodoxe Theologen reagierten auf Hyun Kyungs Beitrag in Canberra mit dem Vorwurf, es handle sich um Synkretismus. Diese weist darauf hin, dass auch das europäische Christentum inkulturiert sei und sich niemand daran störe. Es gehe wohl nicht so sehr um die Frage nach dem Verhältnis von Evangelium und Kultur, als vielmehr um die Frage der Macht: Wer definiert, was christlich ist? Wem gehört das Christentum? Vgl. dazu Johanna Linz / Ursula Urban: Kommentar zum Vortrag von Chung Hyun Kyung, in: Elisabeth Moltmann-Wendel (Hrsg.): Die Weiblichkeit, S. 183-189.
- Chung Hyun Kyung: Komm, Heiliger Geist, S. 182.
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Kommentare
2 Kommentare zu “Komm, Heiliger Geist”
24.05.21
Esther Gisler Fischer
Liebe Angela
Danke für diesen beflügelnden Text, mit dem du einen wichtigen Beitrag zur feministisch-theologischen ‚Her-Story‘ leistest!
Frohe Pfingsten
Esther.
24.05.21
Esther Gisler Fischer
Last but not least wäre es noch schön gewesen, die ‚Rach G*ttes, welch im Hebräischen weiblich ist, würde auch im Deutschen so benannt: Heilige Geistkraft.