Wenn ein Mann einen Mann liebt oder eine Frau eine Frau, dann tut sich die katholische Kirche in ihren lehramtlichen Äusserungen immer noch schwer damit. Zwar sollen homosexuelle Menschen nicht diskriminiert werden; doch sollen «Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts» auch nicht gesegnet werden. Bisweilen wird zur Begründung auf die Bibel verwiesen. Aber ist das gerechtfertigt?
Zuletzt hat im Februar 2021 ein Dokument der römischen Kongregation für die Glaubenslehre für kontroverse Debatten gesorgt. In diesem «Responsum ad dubium» (Antwort auf eine strittige Frage) wird der Segnung von «Verbindungen Personen gleichen Geschlechts» eine klare Absage erteilt.1 Zahlreiche Theolog:innen haben sich daraufhin von den im Dokument geäusserten Positionen distanziert und ihre Solidarität mit homosexuellen Menschen erklärt, in vielen Kirchen fanden Segensfeiern statt. Auf der anderen Seite gab es auch Zustimmung zu der im Text vertretenen Position. In dem Dokument selbst wird nicht auf die Bibel Bezug genommen. Wohl aber in anderen massgeblichen Publikationen und in der Diskussion. Welche biblischen Texte sind das? Und was sagen sie aus?
Was sagen die Schöpfungserzählungen?
Am Bekanntesten sind sicher die biblischen Schöpfungsgeschichten. Die erste und jüngere der beiden Erzählungen (Genesis 1,1–2,4a) ist klar strukturiert und besingt mit immer wiederkehrenden Erzählelementen, wie Gott aus dem Chaos den wunderbaren Lebensraum für Tier und Mensch erschuf. Die einzelnen Werke werden dabei mit Hilfe von Gegensatzpaaren in ihrer Gesamtheit vorgestellt: Licht und Finsternis, Himmel und Erde, Land und Meer. Mit den beiden genannten Polen ist selbstverständlich alles, was sich dazwischen befindet, mitgemeint. Ähnlich wird bei der Erschaffung des Menschen formuliert:
«Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde …» (Genesis 1,27–28)
Wenn hier die Menschen als «männlich und weiblich» erschaffen werden, meint das die Gesamtheit und nicht eine ausschliessende Polarität der Geschlechter. Der Text weiss natürlich: Menschen sind wie alle Lebewesen sterblich, und um auf Dauer existieren zu können, müssen sie sich vermehren. Dazu braucht es ein Männliches und ein Weibliches. So bestehen die Schöpfungswerke – also die Menschen, die Tiere des Wassers und er Luft und auch die Pflanzen – dauerhaft fort. Der Text gibt keine Geschlechterdefinitionen, sondern sieht die Menschen in ihrer geschlechtlichen Differenzierung als Abbilder – und das heisst «Repräsentant:innen» – Gottes. Angesichts der patriarchalen Gesellschaft, in welcher der Text entstanden ist, ist dies mehr als bemerkenswert. Als solche «Repräsentant:innen» Gottes haben Menschen noch weitere Aufgaben: Sie sollen im Sinne Gottes Verantwortung für die Schöpfung übernehmen. Wenn das geschieht, ist auch dieses Schöpfungswerk «sehr gut».
Gleich im Anschluss daran wird ab Genesis 2,4b nochmals ganz anders über die Erschaffung der Menschen erzählt: Wie ein Töpfer formt Gott das Menschenwesen (’adam) aus dem Erdboden (’adamah). Und Gott muss feststellen:
«Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm ebenbürtig ist.» (Genesis 2,18)
Die Erschaffung des Menschenwesens ist offenbar noch nicht geglückt, solange es einsam ist. Um die Einsamkeit zu beheben, formt Gott aus der «Seite» des Menschenwesens ein zweites Menschenwesen, und erst jetzt entsteht die geschlechtliche Differenzierung in Mann (’isch) und Frau (’ischah). Davon, dass es ein zweites Menschenwesen geben müsse, damit Fortpflanzung stattfinden kann, ist in der gesamten Erzählung nicht die Rede. Wenn das zweite Menschenwesen eine «Hilfe» sein soll, dann wird dafür ein Wort verwendet, das ansonsten für Gott selbst als Hilfe verwendet wird.2 Es geht um eine Hilfe, an der man sich aufrichten kann, die ein Gegenüber ist und auf die man sich verlassen kann. In dieser Weise sind Mann und Frau nach der ursprünglichen Schöpfungsordnung einander zugeordnet, und ihr Verhältnis ist durch ein tiefes Vertrauen geprägt, so dass sie sich «nackt» gegenüberstehen können.
Wieder geht es also nicht um Geschlechterdefinitionen, sondern darum, zu zeigen, wie es eigentlich einmal gemeint war mit dem Verhältnis der Geschlechter: als ebenbürtiges, vertrauensvolles Zueinander. Wenn am Ende des Textes steht, dass die Beziehung zwischen den Geschlechtern herrschaftsförmig sei und das Leben der Menschen voller Mühsal, dann ist das erst das Ergebnis der Entscheidung der Menschen, von den Früchten zu essen, die sie lieber nicht hätten essen sollen. Auch dies ist in einem patriarchalen Kontext äusserst bemerkenswert.
Kein Konzept von Homosexualität in der Bibel
Das Ziel der biblischen Schöpfungserzählungen ist also weder eine ausschliesslich zweipolige Geschlechterordnung in dem Sinne, dass es nur Mann und Frau geben darf, noch geht es darum, als einzigen Zweck der Verbindung von Mann und Frau die Ermöglichung von Nachkommenschaft festzulegen.
Wenn in den Texten nicht von anderen Arten von Beziehungen die Rede ist, dann liegt das daran, dass die Bibel ebensowenig wie andere antike Kulturen ein Konzept von Homosexualität im Sinne einer mehr oder weniger ausgeprägten sexuellen Orientierung und personalen Identität kennt. Bekannt sind lediglich homosexuelle Handlungen, und davon ist nur an wenigen Stellen die Rede. Dabei kommen ausschliesslich homosexuelle Handlungen unter Männern in den Blick, während homosexuelle Handlungen unter Frauen nicht thematisiert werden. Konkret geht es um die anale Penetration, die in der Antike ein verbreitetes Mittel war, um Macht gegenüber Unterlegenen zu demonstrieren – so wie in Gefängnissen bis heute die Vergewaltigung von Männern durch Männer ein gefürchtetes Mittel der Demütigung ist. Denn bei einem solchen Akt wird der vergewaltigte Mann in die Rolle der Frau gezwungen und auf diese Weise erniedrigt. Diese Form der Machtdemonstration wird in biblischen Texten verurteilt.
Sexuelle Gewalt in Sodom
Drastisch kommt dies in der Erzählung über den Untergang der Stadt Sodom zum Ausdruck (Genesis 19). Demnach kehren zwei Gottesboten als Gäste bei Lot in Sodom ein. Am Abend aber umstellen die Männer aus der Stadt Lots Haus und fordern die Herausgabe der Gäste, um sie zu «erkennen». Dies ist an dieser Stelle eindeutig als Vergewaltigung zu verstehen. Das zeigt sich auch daran, dass Lot, der sich als Gastgeber verantwortlich für die Fremden fühlt, den Männern der Stadt seine beiden Töchter als Ersatz anbietet, damit diese anstelle der Gäste vergewaltigt werden. Eine unvorstellbar schreckliche Situation. Aber die Geschichte geht für Lot und seine Familie gut aus: Die Männer der Stadt werden mit Blindheit geschlagen, die Stadt der Vernichtung preisgegeben, während Lot und seine Familie gerettet werden.
Worum es hier geht, sind nicht einfach homosexuelle Neigungen oder Handlungen der Männer aus Sodom, sondern der Bruch des Gastrechts und sexuelle Gewalt gegenüber Fremden – auch Lot lebt ja als Fremder in der Stadt – zur Machtdemonstration und Demütigung. Dies wird eindeutig verurteilt.
Zusammenhalt der Sippe im Buch Leviticus
Nur zweimal kommen in der Hebräischen Bibel homosexuelle Handlungen unter Männern in den Blick. Beide Stellen finden sich im Buch Leviticus. In Kapitel 18 werden eine Reihe von verbotenen Sexualbeziehungen aufgelistet, die die Israelit:innen nicht praktizieren sollen; denn sie sollen sich von den Praktiken in Ägypten und Kanaan abgrenzen. Dazu gehört auch diese Regelung:
«Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel.» (Leviticus 18,22)
Kapitel 19 listet sodann verschiedene soziale Regelungen auf, die die Israelit:innen beachten sollen, damit sie die Heiligkeit Gottes entsprechend leben. Dazu gehört zum Beispiel das Gebot der Nächstenliebe (Leviticus 19,18). Kapitel 20 schliesslich legt Sanktionen fest, die eintreten sollen, wenn Gebote nicht eingehalten werden. Dazu gehört:
«Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide haben den Tod verdient; ihr Blut kommt auf sie selbst.» (Leviticus 20,13)
Das klingt nun in der Tat wie ein generelles Verbot männlicher Homosexualität. Allerdings zeigt der Kontext dieser Anordnungen, dass hier verschiedene Sexualtabus zusammengestellt sind, die einerseits kultische Reinheit und andererseits den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft gewährleisten sollen. Sexuelle Handlungen, die zu keiner oder zu einer ungeordneten Nachkommenschaft führen, werden verboten. Dazu gehören u. a. Geschlechtsverkehr mit einer menstruierenden Frau (Leviticus 18,19) ebenso wie der mit Tieren (Leviticus 18,23), Inzest ebenso wie der Verkehr mit einer anderen als der eigenen Ehefrau (Leviticus 18,20). Letzteres kann zu erheblichen sozialen Verwerfungen führen, was wiederum das Zusammenleben gefährdet. Der Geschlechtsverkehr mit Menstruierenden, mit anderen Männern oder gar mit Tieren lässt nach Vorstellung des Textes hingegen den männlichen Samen «verloren» gehen – es gibt keine Nachkommen.
Es geht bei diesen Regelungen also um einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität, der das Leben und Überleben der Gemeinschaft nicht gefährdet.3 Das gilt es zu berücksichtigen, wenn wir heute solche Texte lesen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Sexualität ist auch heute noch gefragt. Allerdings liegt heute das Problem nicht mehr darin, dass das Überleben der Gemeinschaft gefährdet ist, wenn weniger Kinder gezeugt werden. Vielmehr haben sich Beziehungsformen und gesellschaftliche Kontexte, in denen diese stattfinden, verändert. Verantwortungsübernahme füreinander und für die Gemeinschaft ist gleichwohl gefragt. Nur kann diese von gleichgeschlechtlichen Paaren ebenso realisiert werden wie von heterosexuellen.
Und Paulus?
Im Neuen Testament sind Überlegungen zu homosexuellen Praktiken nur bei Paulus und in der Paulus-Schule zu finden.4 Zu Beginn des Römerbriefs zeigt Paulus auf, was passiert, wenn sich Menschen aus eigenem Verschulden von Gott entfernen. Eine dieser Folgen sind sexuelle Praktiken, die Paulus ablehnt. Während Paulus nicht genauer präzisiert, was Frauen tun, nennt er bei den Männern den Sexualverkehr mit anderen Männern (Römerbrief 1,26–27). Genau genommen ist hier nicht Homosexualität an sich das Thema, es wird vielmehr dargelegt, dass sowohl jüdische wie auch nichtjüdische Menschen sich vor Gott schuldig machen. Dennoch ist klar: Für Paulus gehören homosexuelle Handlungen unter Männern zu den Dingen, an denen sich die Schuldverfallenheit der Menschen zeigt. Es ist allerdings nur ein kleiner Aspekt in seiner Argumentation und steht ganz sicher nicht im Zentrum seiner Ethik.5
Für Paulus und die paulinischen Gemeinden gilt dabei, was bereits für das Erste Testament gesagt wurde: Sie gehen von gleichgeschlechtlichen Praktiken aus, die sich entschlusshaft durchaus gegen Gottes Ordnung richten können. Von einem heutigen Verständnis von Homosexualität als eine dauerhafte gleichgeschlechtliche Orientierung und Veranlagung wissen sie hingegen noch nichts.
Paulus und die paulinische Gemeinden kennen allerdings ein Gegenmodell: In den Christus-Gemeinden sind Status-Zuschreibungen aufgrund von Herkunft oder Geschlecht aufgehoben, es ist allein massgeblich, «in Christus» zu sein:
«Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.» (Galaterbrief 3,28)
Gesellschaftliche Festlegungen werden aufgehoben, Neues und Anderes ist möglich.
Wer heute nach biblischen Anknüpfungspunkten zum Thema Homosexualität sucht, wird mit Gewinn die Aspekte von verantwortlich gestalteten Sexualbeziehungen aus den ersttestamentlichen Texten heranziehen – oder diesen Tauftext der ersten Christus-Gemeinden, die es für möglich hielten, dass das «Sein in Christus» herkömmliche Geschlechterordnungen durcheinanderbrachte.
Gleichgeschlechtliche Paare in der Bibel
Das berühmteste Freundespaar des Alten Testaments sind wahrscheinlich David und Jonatan. Eigentlich hätten sie politische Widersacher sein müssen; doch sind sie einander innigst verbunden. So heißt es über Jonatan, er liebe David «wie das eigene Leben» (1 Sam 18,1.3), und umgekehrt ruft David in seiner Totenklage um Jonatan verzweifelt aus: «Deinetwegen bin ich in Not, mein Bruder Jonatan, du warst mir so lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe von Frauen.» (2 Sam 1,26) Ob in dieser Formulierung eine homoerotische Liebe angedeutet ist, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Aber auch wenn hier lediglich eine Steigerung gegenüber der (von einer Mehrheit) am intensivsten erfahrenen Liebe (nämlich der zwischen Mann und Frau) ausgedrückt ist, bedeutet dies eine bemerkenswerte Charakterisierung einer Männerfreundschaft.
Es gibt auch eine Erzählung über die Freundschaft zwischen zwei Frauen – in diesem Fall wohl fast ebenso berühmt wie die zwischen David und Jonatan: Es ist die Erzählung über die Freundschaft zwischen Rut und Noomi im Buch Rut. Hier lässt sich die Moabiterin Rut nicht davon abbringen, ihre judäische Schwiegermutter Noomi zu begleiten, als diese nach dem Tod ihres Mannes und ihrer beiden Söhne in ihre Heimat Betlehem zurückkehren will: «Dränge mich nicht, dich zu verlassen und zurückzugehen, von dir weg. Denn wohin du gehst, dahin werde auch ich gehen, und wo du übernachtest, da werde auch ich übernachten; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da werde auch ich sterben, und dort will ich begraben werden (…) Nur der Tod soll uns trennen.» (Rut 1,16f.) Einfallsreich und in unbeirrbarer gegenseitiger Unterstützung gelingt es den beiden Frauen, nicht nur ihr Überleben zu sichern, sondern auch Zukunft zu ermöglichen. Nicht umsonst kommentieren die Frauen von Betlehem am Ende der Erzählung die glückliche Geburt des Sohnes der Rut gegenüber Noomi so: «Deine Schwiegertochter, die dich liebt, hat ihn geboren, sie, die für dich mehr wert ist als sieben Söhne.» (Rut 4,15)
Und Jesus? Er hat nichts dazu gesagt. Es gibt Worte zur Ehe und Ehescheidung, aber nichts zu homosexuellen Beziehungen oder auch nur zu homosexuellen Praktiken. Offenbar hatte er anderes auf dem Schirm.
- Luís F. Kard. Ladaria SJ: Responsum ad dubium der Kongregation für die Glaubenslehre über die Segnung von Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts, 22. Februar 2021: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20210222_responsum-dubium-unioni_ge.html (Zugriff 16.08.2021)
- Zum Beispiel Psalm 30,11; 54,6.
- Vgl. ausführlich Thomas Hieke: Kennt und verurteilt das Alte Testament Homosexualität? in: Stephan Goertz (Hg.), «Wer bin ich, ihn zu verurteilen?» Homosexualität und katholische Kirche, Freiburg – Basel – Wien 2015, 19–52.
- Paulus: Römerbrief 1,26–27; 1. Korintherbrief 6,9–10; Paulus-Schule: 1. Timotheusbrief 1,9–10.
- Vgl. ausführlich Michael Theobald: Paulus und die Gleichgeschlechtlichkeit. Plädoyer für einen vernünftigen Umgang mit der Schrift, in: Stephan Goertz (Hg.), «Wer bin ich, ihn zu verurteilen?» Homosexualität und katholische Kirche, Freiburg – Basel – Wien 2015, 53–88.
Bildnachweise. Titelbild: iStock, Geber86 / Bild 1: iStock, hypotekyfidler / Bild 2: Jacopo Robusti detto Tintoretto, Adamo ed Eva, Öl auf Leinwand (um 1550), Gallerie dell’Accademia di Venezia / Bild 3: Einsamkeit. iStock, portishead1 / Bild 4: iStock, hypotekyfidler / Bild 5: Innenhof, Venedig. Gewalt. Kr / Bild 6: Alexey Tyranov, Jochebed und Miriam lassen Moses am Nil zurück. Öl auf Leinwand (1839-42) / Bild 7: Schreibender Apostel Paulus: Aus einer Handschrift der Paulusbriefe, frühes 9. Jahrhundert. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, wikimedia commons / Bild 8: iStock/ipopba
Kommentare
Noch kein Kommentar