Franz von Assisi «interreligiös»

Franz von Assisi ist weltweit bekannt durch den Sonnengesang, der in der sprachlichen Schönheit und mit seiner Schöpfungsspiritualität berührt. Auch wissen viele um die Bekehrung des Kaufmannsohnes zu einem Leben in Armut. Weniger bekannt ist die interreligiöse Seite des Poverello. Mit Franziskus lässt sich eine grosse Offenheit für andere Religionen und die Geschwisterlichkeit aller Menschen lernen.

Eskalation der Gewalt

1219 trifft Franziskus in der Stadt Damiette im Nildelta den Sultan al-Malik al-Kamil und verbringt einige Tage in dessen Zeltlager. Erstaunlicherweise überschreitet er die Grenzen der Christenheit zu einem Zeitpunkt, in dem das Überleben seiner eigenen Gründung, der franziskanischen Bewegung, keineswegs gesichert ist. Vor allem aber sucht er den Kontakt mit der Welt des Islam in einer Zeit militärischer Auseinandersetzung. Gerade ist in Italien eine Flotte mit einigen tausend Kreuzfahrern nach Ägypten aufgebrochen mit dem Ziel, die Heilige Stadt Jerusalem zu befreien. Euphorisiert vom Sieg des Königshauses von Kastilien in Al-Andalus hatte Papst Innozenz 1215 zu diesem neuen – fünften – Kreuzzug aufgerufen.1

Sankt Frankziskus predigt vor den «Ungläubigen». 13. Jh., Bardi-Kapelle Florenz

Man kann von einem Zusammenprall der Kulturen, einem Clash of Civilizations sprechen, um einen Begriff des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington aufzugreifen. Die christlichen Aufrufe inszenierten den Propheten Mohammed und die Muslime als pseudoreligiös und hinterlistig, ja, sie sprachen von Teufelssöhnen, die es zur Ehre Gottes zu vernichten galt.2

Dialog statt Konfrontation

Was nur, so fragt man sich, sucht Franz von Assisi im Heerlager der Kreuzritter? Der Historiker André Vauchez hält in seiner Franziskus-Biografie fest, dass es ihm nicht um Kampf geht:

«Sicher dachte er nie daran, sich dem Kreuzzug als Krieger anzuschliessen. Sein Ordensstand verbot ihm, zu den Waffen zu greifen, nichts lag seiner persönlichen Haltung ferner, die auf Gewaltlosigkeit gründete… Vielmehr scheint er hier eine Gelegenheit gesehen zu haben, hier das evangelische Ideal der Minderbrüder zu erproben.»3

Giotto, Sankt Franziskus vor dem Sultan, 1297-1300, Fresko in Assisi

Auch der Kapuziner Niklaus Kuster stellt die Orientreise in den Kontext eines «evangelischen und apostolischen Lebens»: Franziskus will die Botschaft von der Auferstehung über alle Grenzen hinweg in die ganze Welt hineintragen. Er sah, so Kuster, in den Muslimen keine Feinde, die es zu besiegen galt, sondern Adressaten eines Gesprächs.4 So geht er unbewaffnet und nur von einem Mitbruder begleitet auf sie zu. Sein Verhalten ist nicht ohne Risiko. Doch Franziskus scheint überzeugt, dass mit Kampf und Gewalt in der Sache Christi nichts zu gewinnen ist.

Überraschende Menschlichkeit

Die Begegnung von Franz und dem Sultan ist als solche historisch mehrfach belegt. Was bei deren Zusammentreffen genau geschah, ist aber weit schwieriger zu fassen und wird wohl für immer im Dunkeln bleiben. Wir können davon ausgehen, dass Franz von Assisi nicht frei von den damaligen Vorurteilen gegen den Islam war, als er sich ins Zeltlager des Sultans vorwagte. Ziemlich sicher wusste er über Muslime nur, was die Spielleute in ihren chansons de geste auf den Plätzen der Städte so erzählten. Die Tatsache, dass er für einige Tage zum Gast des Sultans wurde, weist darauf hin, dass die Begegnung positiv und ganz anders verlief, als beide erwartet hatten. Ihre jeweilige Lesart des anderen wurde nicht bestätigt.

«Al-Kamil merkte sehr schnell, dass diese unbewaffnete und seltsam gekleidete Person, die man vor ihn gezerrt hatte, kein Kreuzritter, sondern ein Gottesmann war. Und auch Franziskus fand im Sultan nicht den Verfolger des christlichen Glaubens, den er erwartet hatte.»5

Interreligiöse Friedensglocke in Assisi

Voraussetzung für das Gelingen der Begegnung waren die Beherztheit des Franziskus und sein Vertrauen in den guten Willen des Gegenübers wie auch die Offenheit und Menschenfreundlichkeit von Sultan al-Malik. Sie führten Franziskus zur Entdeckung des Glaubens des anderen, wie Niklaus Kuster – auch im Hinblick auf heutige interreligiöse Begegnungen – formuliert:

«Franziskus erfährt seinen Gesprächspartner aufrichtig um den wahren Glauben bemüht und entdeckt Gottesliebe ausserhalb der eigenen Religionsgemeinschaft. Vertrauen in die Gottesverbundenheit des anderen schlägt Brücken und schliesst Freundschaften über Glaubensgrenzen hinweg.»6

Leben unter Nichtchristen – Leben als Geschwister

In einer Zeit, in der die Kirche das Heil an die Taufe knüpfte, führte die Entdeckung der Gottesliebe bei den Muslimen Franziskus und seine Brüder, dazu, «die Grenzen der Hoffnung zu weiten»7. Sie entwickelten eine neue Form von Mission, in der das friedliche Leben unter Nichtchristen wichtiger ist als Predigt und Verkündigung. Vorrang habe es, «dienstbar» zu sein allen gegenüber, auch den «Ungläubigen». Franziskus ermutigte seine Mitbrüder, die Lebensbedingungen der Muslime und Musliminnen zu teilen und ihnen Unterstützung und Partner zu sein. Auf diese Weise würden sie dem Beispiel Jesu folgen. Die explizite Verkündigung des Wortes Gottes versteht Franziskus als nachgeordnet und er rät den Brüdern, es nur zu tun, wenn sie spüren, dass es Gott gefällt.

Muslimische Inspirationen

Beeindruckt von der Frömmigkeit des Sultans und seiner Leute ruft Franziskus ausserdem die Christenheit auf, von den Muslimen zu lernen und sich wie diese täglich mehrmals zum Gebet rufen zu lassen. Daraus entwickelte sich in der Kirche das Angelusläuten. Dass die Begegnung mit al-Kāmil Franziskus selbst in seiner Spiritualitätspraxis nachhaltig prägte, zeigt das poetische Gebet für Bruder Leo*, das Franz in Anlehnung an die Sure al-a’rāf und die 99 schönsten Namen Gottes verfasste. Er überrascht darin mit vielen weiblichen Gottesnamen.8 Unendlich sind die Namen, doch Gott bleibt geheimnisvoll erhaben. Der 100. Name, so die muslimische Tradition, ist uns verborgen.

 

*Lobpreis Gottes

  1. Du bist der heilige Herr, der alleinige Gott,
    «der du Wunderwerke vollbringst» (Ps 76,15).
  2. Du bist der Starke. Du bist der Große (vgl. Ps 85,10).
    Du bist der Erhabenste. Du bist mächtig, du «heiliger Vater,
    König des Himmels und der Erde» (vgl. Joh 17,11; Mt 11,25).
  3. Du bist der dreifaltige und eine Herr,
    Gott aller Götter (vgl. Ps 135,2).
    Du bist das Gute, jegliches Gut, das höchste Gut,
    der Herr, der lebendige und wahre Gott (vgl. 1 Thess 1,9).
  4. Du bist die Liebe, die Minne.
    Du bist die Weisheit.
    Du bist die Demut.
    «Du bist die Geduld» (Ps 70,5).
    Du bist die Schönheit.
    Du bist die Milde.
    Du bist die Sicherheit.
    Du bist die Ruhe.
    Du bist unsere Hoffnung.
    Du bist die Freude und Fröhlichkeit (vgl. Ps 50,10).
    Du bist die Gerechtigkeit.
    Du bist das Maßhalten.
    Du bist all unser Reichtum zur Genüge.
  5. Du bist die Schönheit.
    Du bist die Milde.
    «Du bist der Beschützer» (Ps 30,5).
    Du bist der Wächter und Verteidiger.
    Du bist die Stärke (vgl. Ps 42,2).
    Du bist die Zuflucht.
  6. Du bist unsere Hoffnung.
    Du bist unser Glaube.
    Du bist unsere Liebe.
    Du bist unsere ganze Wonne.
    Du bist unser ewiges Leben:
    großer und wunderbarer Herr,
    allmächtiger Gott, barmherziger Retter.

Franziskus schriebt dieses Gebet mit roter Tinte auf ein Pergament. Auf der Rückseite steht der «Segen für Bruder Leo». Das Original wird heute in Sacro Convento in Assisi aufbewahrt. Der Kapuziner und Franziskusforscher Br. Anton Rotzetter fand für dieses Gebet die Bezeichnung «die große Meditation der Unbegreiflichkeit Gottes».
Quelle: Das Erbe eines Armen. Die Schriften des Franz von Assisi. Hrsg. von Leonhard Lehmann OFMCap. – Topos Plus, 2003

 

 

  1. Vgl. André Vauchez: Franziskus von Assisi. Geschichte und Erinnerung, Münster 2019, S. 111-127. Franziskus’ mehrmonatiger Aufenthalt in Damiette ist von den Hagiographen des Ordens wie auch von zeitgenössischen nicht-franziskanischen Quellen belegt.
  2. Vgl. Niklaus Kuster: Franziskus. Rebell und Heiliger, Freiburg i. Br. 22010, S. 179.
  3. André Vauchez: Franziskus, S. 117.
  4. Vgl. Niklaus Kuster: Franziskus, S. 179 sowie Niklaus Kuster: Unser aller Vater. Beten wie Franz von Assisi, Ostfildern 2020, S. 64f.
  5. André Vauchez: Franziskus, S. 123.
  6. Niklaus Kuster: Franziskus, S. 204.
  7. Niklaus Kuster: Franziskus, S. 182.
  8. Vgl. Niklaus Kuster: Unser aller Vater, S. 65-68.

     

    Bildnachweis: Titelbild: Ikone aus dem Couvent des Capucins/St-Maurice. «Das verbindende rote Band zwischen Minarett und Kirchturm symbolisiert die Überwindung der Fremdheit.» wikimedia / Bild 1: Coppo di Marcovaldo, Sankt Frankziskus predigt vor den Ungläubigen. 13. Jh., Tafel in der Bardi-Kapelle in der Kirche Santa Croce, Florenz, wikimedia / Bild 2: Giotto di Bondone, Sankt Franziskus vor dem Sultan, 1297-1300, Fresko in der Basilika di San Francesco Assisi, wikimedia / Bild 3: Die Weltfriedensglocke in Assisi. kr/ Bild 4: Statue des Heiligen Franziskus vor Iglesia de San Francisco bei Dämmerung, Arequipa, Peru, Südamerika. Foto: iStock/manx_in_the_world

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