Das Christentum kennt keine weibliche Gottheit. Die Art und Weise, wie Maria zuweilen dargestellt wird, lässt anderes vermuten – zumindest für Aussenstehende. Auf jeden Fall spielt Maria im christlichen Glauben eine Schlüsselrolle.
Maria erfreut sich in der christlichen Kunst grosser Beliebtheit. Sie ist nicht nur vielfach abgebildet, sondern auch vielfältig – manchmal gar paradox. Da ist auf der einen Seite die junge Mutter und Familienfrau, die liebevoll und staunend ihr Neugeborenes in den Armen hält. Auf der anderen Seite begegnet uns – etwa bei der abendlichen Prozession in Lourdes – die weisse, makellose Heilige in einem Glasschrein, sich abhebend von den Abgründen des irdischen Lebens. Dazwischen gibt es zahlreiche weitere Mariendarstellungen: das zurückgezogene Mädchen, das von einem Engel besucht wird, die unscheinbare Frau im Gefolge Jesu, die ihren toten Sohn im Schoss bergende Pietà, die ältere Dame, die im Kreise der Jünger Jesu entschläft, die über allem thronende Himmelskönigin. Diesen diversen Darstellungen ist gemeinsam, dass sie eine Person ins Bild setzen, die durch ihre Beziehung zu Jesus einen besonderen Stellenwert im christlichen Glauben erhalten hat.
Die biblischen Schriften wissen einerseits zu berichten, dass Jesu Herkunft auf den Heiligen Geist zurückzuführen ist. Andererseits betonen sie, dass er aus dem Menschengeschlecht hervorgeht. Wenn im Neuen Testament Maria als Mutter Jesu besonders hervorgehoben wird, so geschieht das, um zu unterstreichen, dass Jesus ganz Mensch war und als Mensch zur Welt gekommen ist.
Jungfrau und Gottesmutter
Der Evangelist Lukas schildert die Situation, in der ein Engel die noch unverheiratete, aber mit einem Mann namens Josef verlobte Maria aufsucht. Er kündigt der jungen jüdischen Frau eine Schwangerschaft an, und auf ihre Frage, wie das gehen soll, da sie noch mit keinem Mann geschlafen habe, erklärt ihr der himmlische Besucher: «Heiliger Geist wird über dich kommen und Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden» (Lukasevangelium 1,35).
Wer der jüdischen Heiligen Schriften kundig ist, erinnert sich bei dieser Schilderung an den Propheten Jesaja: Dieser kündet eine Heilszeit an, die mit einem Zeichen einhergeht: «Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben.» (Jesaja 7,14). Im hebräischen Text steht für Jungfrau das Wort «alma», was auch übersetzbar ist mit «junge Frau».
In einer aufgeklärten Zeit mag es Mühe bereiten, in der Mutter Jesu eine «Jungfrau» zu sehen. Selbst Joseph Ratzinger, der ehemalige Papst Benedikt XVI., macht ein anderes Deutungsangebot: «Die Gottessohnschaft Jesu beruht nach dem kirchlichen Glauben nicht darauf, dass Jesus keinen menschlichen Vater hatte; (…) Denn die Gottessohnschaft, von der der Glaube spricht, ist kein biologisches sondern ein ontologisches Faktum; kein Vorgang in der Zeit, sondern in Gottes Ewigkeit»1.
Den Erzählungen rund um Jesu Werden wird man lediglich gerecht, wenn man sie nicht in einem naturwissenschaftlichen Sinne aufzulösen sucht, sondern in ihnen einen Ausdruck findet, um das Geheimnis in Worte zu fassen, das Jesu Herkunft immer auch umweht. Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott,2 wobei gerade seine Göttlichkeit sich nicht so einfach aufschlüsseln lässt.
Immaculata – bewahrt vor den Makeln der Erbsünde
Sehr früh schon wurde der Begriff «Jungfräulichkeit» in ein moralisches Licht gerückt: Maria ist Jungfrau, weil sie frei von Sünde ist. Wer so radikal Ja sagt zu Gott, wie Maria das getan hat, wird auch im Alltäglichen dem Willen Gottes treu bleiben und nicht vom guten Weg abkommen.
So einfach liess sich diese Überzeugung theologisch allerdings nicht rechtfertigen. Denn nach der Erbsündenlehre, die im 4. Jahrhundert von Augustinus geprägt wurde und im Grunde bis heute in der Theologie (unheilvoll) nachwirkt, ist jeder Mensch von Beginn seines Lebens an der Sünde unterworfen. Die Weitergabe dieser Erbsünde lokalisierte man im Zeugungsakt, wodurch Lust und Sexualität quasi automatisch und folgenreich in Misskredit gerieten.
Soll Maria nun also frei von Sünde sein, muss mit ihr schon ganz am Anfang ihres Lebens etwas Besonderes geschehen sein. Ihre Erwählung durch Gott wird demnach dort ihren Ausgang genommen haben, wo ihr Menschsein begann.
Auf diese Weise hat sich im 19. Jahrhundert die Lehre von der «immaculata conceptio» (unbefleckte Empfängnis) etabliert. Sie besagt, dass Maria vom ersten Moment ihrer geschichtlichen Existenz an von Gott erwählt und von jeder Schuldverstrickung erlöst ist. Maria ist fähig, in ihrem Leben ganz auf Gottes Wirken zu vertrauen, weil Gott vor jeder menschlichen Eigenleistung «sola gratia» (allein aus Gnade) in ihr eine neue Schöpfung begründet. Der Gedenktag der «immaculata conceptio» ist der 8. Dezember – genau neun Monate später, am 8. September wird Marias Geburtstag gefeiert.
Assumpta – in den Himmel aufgenommen
Die theologischen Überlegungen zu Maria machen sichtbar, was der ganzen Menschheit blüht: Gott erlöst, heilt und befreit – und schafft so neue Möglichkeiten zu leben, sich zu entfalten und einander zu begegnen. Im Lobgesang «Magnificat» legt der Evangelist Lukas der jungen Maria Worte in den Mund, die von solcher Befreiung singen (vgl. Lukasevangelium 1,46-56). Alles, was unheilvoll Macht hat über das menschliche Leben, ist bedingt und nicht von Dauer. Das letzte Wort hat der Immanuel, Gott, der den Menschen nahe sein will.
An der Person Marias wird Gottes Heilswirken exemplarisch sichtbar: In Maria können wir dem Menschen begegnen, dessen Leben vollendet ist. Diese Vollendung zeigt sich nicht nur am Beginn und im Verlaufe ihres Lebens. Sie dürfte auch Auswirkungen haben auf das Ende ihrer irdischen Existenz. So wurde 1950 lehramtlich festgehalten, was von vielen Gläubigen schon lange so angenommen wurde: Nach ihrem Tod ist Maria aufgenommen worden in den Himmel. Was der christliche Glaube für alle Menschen erhofft, wagt er von Maria zu behaupten: Ihr Tod ist nicht das Ende, weil Gott die Menschen dazu geschaffen und berufen hat, in göttlicher Gemeinschaft zu sein und zu leben.
Als Mensch ist Maria eine Hoffnungsgestalt: Ihre Existenz, vor allem aber die Deutungen ihres Lebens führen vor Augen, was alles möglich ist und wirklich wird, wenn Gott beginnt, Geschichte zu schreiben.
Bezugsperson von Jesus
Maria ist in die Geschichte eingegangen aufgrund ihrer Beziehung zu Jesus Christus. Ihre ganze theologische Bedeutung gründet darin, dass sie aufs Menschlichste mit ihm verbunden war. Auch jene Darstellungen Marias, auf denen ihr Sohn fehlt, würden missverstanden, wenn sie ihn nicht mitbedenken: Maria ist nicht Jungfrau, ohne auch Mutter zu sein. Sie ist nicht Himmelskönigin ohne den Bezug zu ihrer irdischen Verwandtschaft.
Gerade als Teil der Verwandtschaft Jesu wirft Maria in den Evangelien allerdings auch ihre Schatten. Sie scheint zuweilen wenig Verständnis zu haben für den Lebensweg, den ihr Sohn wählt. Jesus sieht sich durch das Verhalten seiner leiblichen Familie sogar dazu genötigt, sich von ihr – inklusive seiner Mutter – zu distanzieren. Er betont, dass jene Menschen ihm am nächsten stehen, welche den Willen Gottes tun. Sie sind für ihn die eigentlichen Mütter, Brüder und Schwestern. (vgl. Markusevangelium 3,31-35). Als historische Person war Maria offenbar nicht über alle Zweifel erhaben. Weil sie ganz menschlich (und eben nicht göttlich) ist, kann sie gleichwohl als Vor-Bild für die Menschheit angesehen werden.
Das gesamte menschliche Leben mit seinen Höhen und Tiefen findet sich wieder in der Art und Weise, wie Maria in der Kunst verewigt ist: Einzelne Stationen aus ihrem Leben bilden so Anknüpfungspunkte für so manche Lebenserfahrung heute Glaubender.
Welche Marienbilder sprechen Sie besonders an? Und welche Aspekte der Botschaft Jesu kommen für Sie zum Tragen, wenn Sie die Darstellung(en) von Maria auf sich wirken lassen?
- Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, München 1968, 225.
- So halten es die Kirchenlehrer auf dem Konzil 451 n. Chr. in Chalcedon fest.
Titelbild: Maria Königin. Marienstatue beim Eingang des christlichen Viertels in der kurdischen Metropole Erbil, Nordirak. kr / Bild 1: Madonna im Rosenhag. Stefan Lochner, um 1450, Mischtechnik auf Holz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, cc / Bild 2: Pietà Statue zwischen Domplatz und Kapitelplatz, Anna Chromy. Foto: Tourismus Salzburg / Bild 3: Streetart-Maria an einem Laden in Berlin-Kreuzberg. Foto: Vera Rüttimann / Bild 4: Klosterladen Einsiedeln, Marienstatuen aus Holz, kr / Bild 5: Ikone «Madonna des Friedesn» (Madonna della Pace), Basiclica Santi Giovanni E Paolo Venedig / Bild 6: Prozession mit Marienstatue im französischen Wallfahrtsort Lourdes. Foto: Ivoha, alamy.de
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