Im Zusammenhang mit der zunehmenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und der Suche nach einem neuen Lebensstil wird heute wieder über Ökofeminismus diskutiert. Es geht dabei um Ansätze, die vor vierzig Jahren von Frauen rund um den Globus entwickelt wurden. Dies auch in der Theologie, die ein schwieriges Erbe in Bezug auf den Umgang mit Frauen wie auch mit der Natur in sich trägt.
Die Bilder leuchten in satten Farben. Wir sehen ballspielende Kinder; Frauen und Männer, die Früchte ernten oder den Boden bearbeiten; davor ein Fluss mit Fischen, dessen Wasser sich in klaren Blautönen zeigt; im Hintergrund weidende Lamas in einer grünen Hügellandschaft. Wahrscheinlich kennen Sie dergleichen Handarbeiten aus Lateinamerika.
Hoffnungsbilder marginalisierter Frauen
Es sind Frauen in Kooperativen, die solche Stickereien auf Stoff herstellen und auf dem nahen Markt verkaufen. Meist alleine verantwortlich für die Kinder ermöglicht ihnen diese Arbeit in unmittelbarer Nachbarschaft ein bescheidenes Einkommen. Führt man sich die Lebenssituation der Frauen vor Augen, erkennt man, wie erstaunlich ihre Werke sind. Deren Buntheit und Leuchtkraft stehen in absolutem Kontrast zur grauen, wüstenähnlichen Umgebung in der Peripherie von Lima beispielsweise, wo die Frauen, mehrheitlich geflüchtet vor Gewalt oder aufgrund des Klimawandels, in den pueblos jovenes (Slums) ein neues Leben aufzubauen versuchen.1 Die kleinen Kunstwerke sind ein Funken Schönheit in menschenunwürdigen Zuständen, Protest und Sehnsuchtsbild zugleich. In ihren Visionen einer anderen Welt verknüpfen die Frauen das eigene Aufblühen mit dem Blühen der Erde. Denn sie leiden mit ihren Kindern unter verschmutztem Trinkwasser, giftigen Abfallbergen und erodierten Böden.
Ökologie und Feminismus
Die Zerstörung der Umwelt geht einher mit Armut und dem Ausschluss der Schwächsten. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen Denkerinnen, die ökologische Krise aus einer feministischen Perspektive zu analysieren und zeigten strukturelle Zusammenhänge auf:
«Ökofeministinnen argumentieren, dass die Beziehung zwischen Mensch und Natur ähnlich hierarchisch und gewaltförmig geprägt ist wie die zwischen Mann und Frau. Und sie zeigen, dass Frauen von den Folgen der Umweltzerstörung in besonderer Weise betroffen sind, zum Beispiel als Mütter und als Klein- und Subsistenzbäuerinnen im Süden. Die ökofeministische Utopie zielt auf die Beendigung von Herrschafts- und Gewaltstrukturen im Geschlechterverhältnis und im Verhältnis gegenüber der Umwelt».2
Ökofeministinnen der ersten Stunde waren Denkerinnen aus den USA und dem globalen Süden: Sozialwissenschaftlerinnen, Philosophinnen und Theologinnen, die mit marginalisierten Frauen in engem Kontakt standen.3 Hier in der Peripherie, an den Rändern der Gesellschaft waren die verheerenden Folgen der Globalisierung und des ungebremsten Wirtschaftswachstums früh schon sicht- und greifbar. Besonders für Frauen im Süden war und ist die ökologische Frage existentiell. Was mit der Erde geschieht, berührt ihr Leben unmittelbar. So sagt die brasilianische Ordensfrau und Theologin Ivone Gebara in einem Interview:
«Die Analyse der politischen und wirtschaftlichen Situation unserer Länder ist sehr wichtig, aber sie ist nicht alles. Wir […] richten unsere Aufmerksamkeit auf die Luft, das Wasser und die Erde. Wir sehen den Abfall, der uns umgibt, und fühlen tief in uns selbst, dass unser Planet nicht irgendein Ort ist, sondern dass er unser Körper ist»4
Ein neues Schöpfungsverständnis
Die ökologische Krise führt zu einer Kritik der Religionen, speziell des Christentums, und ruft nach einer Revision theologischer Denkmuster.5 Ivone Gebara spricht von einer «Option für das Leben», die nottut. Es gibt in der christlichen Theologie und Tradition einen langen und breiten Strang der Abwertung von allem, was mit der Reproduktion des Lebens in Verbindung steht: Körper, Sexualität, Frauen, Natur. Werte und Haltungen der Verbundenheit und Sorge wurden als «weiblich» qualifiziert und abgewertet.
Eine kritische Lesart des biblischen Schöpfungsberichts in Genesis 2 kann daran erinnern, dass wir Menschen nicht die Herrscher:innen der Schöpfung sind, sondern «Erdlinge» (adamah), kreatürlich, verletzlich und verwoben mit allem, was ist. Gegen die Tendenz, die Menschen als etwas Besonderes vom Ganzen abzutrennen, betonen Ökofeministinnen, dass wir nicht «über» der Welt stehen, sondern:
«… Teil eines immensen und pulsierenden Körpers [sind], der sich in Milliarden Jahren entwickelt hat und noch weiter entwickelt. Die Schöpfung wird wie ein grosser Organismus gesehen, der sich in einem ständigen kreativen Prozess befindet, und gleichzeitig immer wieder neu beginnt.»6
Schöpfung geschieht in jedem Augenblick. Und der Moment, in dem «alles gut war», liegt nicht verloren in einer unerreichbaren Vergangenheit. Jeder Moment ist voller Möglichkeiten zum Guten wie zum Schlechten. Wir leben – wie Gebara es ausdrückt – ständig «im atemlosen Seufzen von Geburtswehen, in der dauernden Neuheit der Welt.»7 Als Teil des schöpferischen Prozesses sind wir affiziert von dem, was um uns ist und haben zugleich Gestaltungskraft. Es ist eine hoffnungsvolle wie herausfordernde Sicht auf die Welt, in der es keinen Raum mehr gibt für das Gefühl, dass wir sowieso nichts tun können. Vielmehr gilt die Überzeugung, dass nachhaltige Veränderung vielfältig und von unten geschieht.
Wenn Gott seinen Platz wechselte
Ökofeministinnen wie Ivone Gebara skizzieren ein spirituelles Weltverhältnis. Gott ist nichts Abgetrenntes, das oben und über der Schöpfung thront. Dort sitzt der patriarchale Gott, mit dem Herrschaftsansprüche und imperialistische Unternehmungen gerechtfertigt wurden und werden, die Macht, die «von oben» kommt. Gebara aber ist auf der Spur des Schöpferischen im Leben. Gott ist überall und alles ist deshalb heilig. In der Theologie spricht man von einem Pan-en-theismus: Das Göttliche ist in allem. Es leuchtet in der Nacktheit und Kargheit des Lebens wie auch in seiner Schönheit auf. Es wohnt als geheimnisvolle Kraft in uns, in der Schöpfung, im ganzen Kosmos.
Was aber geschieht, wenn uns plötzlich klar wird, dass Gott den Platz wechselte und mitten unter uns wohnt und in allem, was lebt?
«Wären wir ein wenig mehr panentheistisch, vielleicht hätten wir dann mehr Respekt vor den Menschen, vor denen, die im Elend sind, vor der Natur, den Flüssen und Meeren. Wir wären auch kontemplativer.»8
- Vgl. Rebecca Berrú Davis: Madre Tierra: Peruvian Women’s Art as Picturing Paradise, auf: http://redeecclesiainamerica.usuarios.rdc.puc-rio.br/publicacoes/rebecca_berru_davis.pdf (Zugriff: 11.12. 2021): «I learned that the cuadros [pictures] not only served as a means to secure a livelihood, they were also an avenue for self-expression and a way to document the experiences that impacted their lives. […] How is it that beauty and hope persist even in the harshest conditions? And what better world for themselves and their families do these women envision?» (S. 3)
- Doris Strahm: Das Seufzen der Natur und unser Seufzen – Schritte zu einer ökofeministischen Theologie. Vortrag vom 14. September 1999 in der Titus-Kirche Basel, S. 1, auf: https://www.doris-strahm.ch/Strahm_004.htm (Zugriff 11.12.2021)
- Von grosser Bedeutung waren die Arbeiten der deutschen Sozialwissenschaftlerin Maria Mies und der indischen Physikerin Vandana Shiva. Ökofeministische Ansätze beschäftigen sich einerseits auf der symbolisch-ideologischen Ebene mit der Konstruktion von «Frau» und «Natur», andererseits mit sozio-ökonomischen und politischen Zusammenhängen. In der Theologie rezipierten im deutschsprachigen Raum u.a. Dorothee Sölle, Luise Schottroff und Doris Strahm ökofeministische Impulse.
- Mary Judith Ress: Ganzheitlicher Ökofeminismus. Interview mit Ivone Gebara, in: Bärbel Fünfsinn, Christa Zinn (Hgg.): Das Seufzen der Schöpfung. Ökofeministische Beiträge aus Lateinamerika, Hamburg 1998, S. 17-24, hier S. 20.
- Vgl. Cornelia Mügge: Ökologie in der Theologie, in: Schweizerische Kirchenzeitung (2017), auf https://www.kirchenzeitung.ch/article/oekologie-in-der-theologie-11535 Zugriff (11.12.2021)
- Doris Strahm: Das Seufzen, S. 6. Vgl. Ivone Gebara: Das Seufzen der Schöpfung und unser Seufzen, in: Bärbel Fünfsinn, Christa Zinn (Hgg.): Das Seufzen der Schöpfung, S. 25-37, S. 21.
- Ivone Gebara: Das Seufzen der Schöpfung, S. 30.
- Ivone Gebara in Mary Judith Ress: Ganzheitlicher Ökofeminismus, S. 22.
Bildnachweise: Titelbild: Textiler Blumengarten. Eine peruanische Arpillera ist ein Patchwork-Bild, das hauptsächlich von Frauen und indigenen Frauen angefertigt wird. Quelle unbekannt; Bild 1: Bunte Landschaftsszenerie. Peruanische Arpillera. Quelle unbekannt; Bild 2: Fight the patriarchy, not the planet. @moiginz/unsplash; Bild 3: «Gaia Mother Tree», Kunstinstallation von Ernesto Neto im Hauptbahnhof Zürich 2018. 1120 Quadratmeter gross, 20 Meter hoch, gehäkelte und geknüpfte Stoffbänder. Der brasilianische Künstler will mit seinem «Mutterbaum», dass die Menschen die Natur mehr respektieren und auf das Herz hören. Hergestellt haben die Stoffbahnen indigene Menschen aus dem Amazonasgebiet. Wie Regentropfen hängen Gegengewichte, gefüllt mit gemahlenen Gewürzen, vom Baum und stabilisieren die Installation. Auf dem Boden beschweren 840 Kilogramm Erde das Werk. Foto: kr
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