Von der Fasnacht in die Fastenzeit

Vom bunten, lauten Treiben der Fasnacht geht es direkt über in die karge, besinnliche Fastenzeit. Der Kontrast könnte grösser nicht sein – und der Übergang kommt ziemlich abrupt. Von einem Tag auf den anderen fallen die Masken, und ein Aschekreuz lässt vordergründig alle gleich aussehen.

Mit dem Übergang ist ein Perspektivenwechsel verbunden: Der Blick wendet sich von aussen nach innen. Während die Tage der Fasnacht dazu einladen, aus sich herauszugehen, bieten die Wochen der Fastenzeit Gelegenheit, in sich hineinzuhorchen. Interessanterweise geht die Fasnacht der Fastenzeit voraus – und nicht umgekehrt. Zuerst darf ich in ausgefallene Kostüme hineinschlüpfen und mich in anderen, mir fremden Rollen ausprobieren. Wer bin ich – und wie könnte ich auch noch sein? Diese Fragen lassen sich in der Fasnacht spielerisch beantworten, wobei nicht nur die naheliegendsten Antworten durchbuchstabiert werden sollen. Auf diese Weise kann ich neue Seiten an mir kennenlernen und vielleicht die eine oder andere Gabe entdecken, die Gott auch noch in mich hineingelegt hat. In den verschiedensten Rollen nehme ich mich selbst unterschiedlich wahr. Und meine Wirkung auf die Mitmenschen ist je nach Verkleidung auch eine andere. All diese Erfahrungen aus der Fasnacht fliessen mit ein in das Erleben der Fastenzeit. Denn auch da geht es letztlich um mich selbst, um meinen Weltbezug und um meine Gottesbeziehung.

Zwei Extreme?

Es wäre also zu kurz gegriffen, würde man Fasnacht und Fastenzeit einander als zwei Extreme gegenüberstellen: da das ausschweifende, nach aussen gekehrte Leben, hier die beschauliche, nach innen gerichtete Einkehr. Auch die Fasnacht bietet Potential zur Selbstbesinnung. Und auch die Fastenzeit ist nicht durch blosse Innerlichkeit gekennzeichnet. Wie es der Begriff bereits verrät, wird diese Zeit durch äussere Formen wie eben das Fasten begleitet. Die Fastenzeit wie auch die Fasnacht sprechen den Leib und den Geist an. Gleichwohl gibt es natürlich einen Kontrast: Während die Fasnacht das Pompöse, das Mehr zelebriert, sticht die Fastenzeit durch Reduktion, durch ein Weniger hervor. Der Verzicht ist dabei allerdings kein Mangel. Durch ein Weniger am einen Ort ergibt sich ein Mehr an anderer Stelle. Der Verzicht kann somit gesehen werden als Teil eines Weges, dessen Ziel mit dem Osterfest erreicht wird. Dass der Weg zu diesem Ziel führt, ist gewiss – unabhängig davon, wieviel Verzicht ich im Vorfeld praktiziere. Wie ich selbst jedoch Ostern und bereits den Weg dorthin erlebe, hängt durchaus damit zusammen, wie ich diesen Weg gestalte.

Drei Elemente

Die Fastenzeit besteht nicht einfach nur aus Fasten. Neben dem Verzicht auf bestimmte bzw. selbst zu bestimmende Genussmittel kennt die kirchliche Tradition zwei weitere Elemente, die für die siebenwöchige vorösterliche Busszeit prägend sind: das Gebet und die Fürsorge.1

Das Gebet kann als das grundlegende Element betrachtet werden. Als innere Hinwendung zu Gott kommt das Beten noch vor jeder äusseren Fastenpraxis. Was während dem gesamten Jahr als Einladung und Angebot gilt, nämlich betend Gott zu begegnen, legt die Kirche den Menschen in diesen Wochen besonders ans Herz. Die Fastenzeit ist nicht einfach eine Übung zur Selbstkasteiung, sondern bietet Raum und Zeit, das eigene Sein und Leben in intensiverer Weise vor Gott zu betrachten und zu reflektieren.

Das äussere Fasten, der Verzicht auf Gewohntes kann dabei unterstützend sein. Die Abkehr vom Alltagsrhythmus in konkreten Bereichen des Lebens bringt den eigenen Schritt möglicherweise erst mal aus dem Takt. Durch eine solche Unterbrechung der Routine kann jedoch Raum entstehen für Neues – und Prioritäten im Leben lassen sich neu ausjustieren. Indem ich auf das Eine verzichte, öffne ich mich für das Andere – vielfach ohne schon zu wissen, was dieses Andere genau ist. In diesem Sinne kann Fasten auch als Zugeständnis an die Unverfügbarkeit des Lebens gesehen und praktiziert werden: Das Leben lässt sich nicht durchtakten und bis ins Letzte planen. Es ist Geschenk, das mir nicht einmalig zu Beginn meines Lebens gegeben worden ist, sondern das ich in jedem Augenblick, mit jedem Atemzug entgegennehmen (und gestalten) darf. Fastend rufe ich mir diesen Geschenkcharakter des Daseins einmal mehr ins Bewusstsein.

Wer fastet, kreist jedoch nicht nur um sich. Das dritte Element, die Fürsorge oder Freigebigkeit ist gleichermassen Bestandteil der Fastenzeit wie das Fasten selbst. Beim Fasten werden auch die Mitmenschen und die Mitwelt in den Blick genommen. Es ist daher kein Zufall, dass die grossen kirchlichen Hilfswerke – Fastenaktion und Brot für alle – vor allem in der Fastenzeit mit Kampagnen auf ihr Wirken in der Welt aufmerksam machen. Wenn das eigene Leben als Geschenk empfunden wird, fällt es leicht, selbst zu geben und mit anderen zu teilen. Hier ist weniger tatsächlich mehr: Was ich gebe und dann selbst weniger habe, kann bei anderen viel bewirken. Es findet nicht nur eine Umverteilung statt, im besten Falle stärkt die Freigebigkeit die Verbundenheit der Menschen miteinander und schärft das Bewusstsein: Wir gehören zusammen. Als Mitmenschen tragen wir Verantwortung füreinander und für unsere Lebensgrundlagen, welche selbst ebenfalls als Schöpfung Gottes zu betrachten und zu behandeln sind.

Einmal jährlich

Das Kirchenjahr kennt verschiedene Fastentage. Die längste und zentrale Fastenzeit sind die vierzig Tage vor dem Osterfest. Jedes Jahr bereiten sich Gläubige durch Gebet, Fastenpraktiken und Spenden auf die Feier der Auferstehung Jesu Christi vor. Ist diese Fastenzeit nun aber mehr als die jährlich sich wiederholende Besinnung? Hat eine Fastenzeit darüber hinaus das Potential, das eigene Leben tatsächlich umzukrempeln und für das Weitergehen neue, bleibende Akzente zu setzen? Wenn der Fastenzeit – dem Gebet, dem Verzicht und der Freigebigkeit – zugetraut wird, dass ich dadurch einen neuen Blick auf mich selbst, auf die anderen und auf Gott gewinne, dann darf ich auch erwarten, dass eine Fastenzeit nicht bloss ein wiederholbarer Vorgang mit bekanntem Ausgang ist. Dass die Fastenzeit auch «Zeit der Erneuerung» genannt wird, sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Jedes Jahr bietet die Möglichkeit, einzigartig zu werden: sowohl in der Weise, wie ich die Fastenzeit konkret gestalte und welche Übungen ich praktiziere, als auch in dem Ziel, zu dem sie mich führt. Auferstehung lässt sich zwar nicht begrifflich fassen, wohl aber gedanklich umkreisen. Von welcher Warte aus und mit welchen Gefühlen und Gewissheiten ich dieses Jahr Ostern feiern werde, ist noch offen. Es hängt wohl auch vom Weg ab, den ich bis dorthin gehen werde.

Jährlich finden Fasnacht und Fastenzeit statt, und in beiden Zeiten kann ich auf unterschiedliche Weise mir selbst und meinem Leben auf den Grund gehen und näherkommen. Dieser Prozess braucht Zeit und beschränkt sich nicht auf eine theoretische Reflexion. Fasnacht und Fastenzeit bieten verschiedene Wege an, praktisch zu werden. Diese sind in jedem Lebensjahr neu zu wählen und zu gehen – in Richtung Ostern.

  1. Vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr. 1434. Aufrufbar unter: https://www.vatican.va/archive/DEU0035/__P4H.HTM (09.02.2022).

     

    Bildnachweise: Titelbild: Masken in Venedig, unsplash@tomvog / Bild 1: Jährliche Fasnacht Basel, unsplash@uconrad / Bild 2: Beten mit einer Bibel, unsplash@patrickian4 / Bild 3: Holzfigur. Jesus am Kreuz, unsplash@ruisilvasj

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