staunen – glauben – denken

Dass etwas ist – und nicht vielmehr nichts –, bewegt Menschen seit jeher zum Staunen und Fragen. Solche Fragen rund um das Sein der Welt – oder theologisch gesprochen: der Schöpfung – scheinen die Gegensätzlichkeit von Religion und Naturwissenschaft besonders hervorzuheben. Doch schliessen sich diese beiden Zugänge wirklich aus?

Wer am Morgen die Augen aufschlägt, nimmt eine Vielzahl von Dingen – Farben, Formen, Bewegungen – wahr. Und alle anderen Sinne ermöglichen weitere, ergänzende Eindrücke über das «Draussen» des eigenen Selbst. Auch der Blick nach innen ist jedoch Teil der Weltwahrnehmung, zumal es beim Betrachten der Wirklichkeit keinen Beobachtungsposten gibt, von dem aus man objektiv und unbeteiligt auf das grosse Ganze sehen könnte.

Wer sich also Gedanken zum Sein der Dinge macht, sollte mitbedenken: Auch mein eigenes Sein ist erstens Teil der Welt bzw. der Schöpfung. Zweitens wird mein Denken durch mein So-Sein geprägt. Ein Mensch mit anderer Geschichte und anderen Lebenserfahrungen dürfte je eigene Akzente setzen. Und drittens ist mein Ich vielfältig verwoben mit allem anderen, was ist. Man könnte hier von meinem Involviert-Sein sprechen, denn ich stehe in vielfältiger Beziehung zu dem, was ich um mich herum wahrnehme.

Verschiedene Zugänge

Man kann sich der Welt und dem, was in ihr geschieht, rational annähern, sie fragend und analysierend zu ergründen suchen. Es ist auch möglich, sich emotional auf sie einzulassen, sich staunend und dichtend mit dem auseinanderzusetzen, was man wahrnimmt. Und dann gibt es wohl noch zahlreiche weitere Zugänge, die sich irgendwo zwischen diesen beiden befinden. Je nach Art der Auseinandersetzung und Frage, die man zu Beginn des Weges stellt, fallen das Ergebnis und die Antwort anders aus. Im besten Falle ergänzen und bereichern sich diese unterschiedlichen Antworten.

Die Welt ist offen für verschiedene Deutungen, und keine Disziplin – also weder die Theologie noch die Naturwissenschaft – kann ihr Sein abschliessend aufschlüsseln und alle Fragen klären, welche der Blick auf die Wirklichkeit aufwirft. Und selbst wenn es gelänge, alle Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen und ihre Erkenntnisse in ein Gesamtbild einzuordnen, blieben Fragen zurück, und es würde sich der Verdacht bestätigen, dass das Sein letztlich unergründlich ist. Weder für das Schöne und Staunenswerte, was in diesem Leben erfahren werden kann, noch für das Leid, welches Abgründe des In-der-Welt-Seins offenlegt, gibt es eine schlüssige Erklärung.

Theologie oder Naturwissenschaft?

Vielfach werden Glauben und Denken als Gegensätze betrachtet. Der denkende Mensch sieht den Glauben als Beschränkung des Denkens, der glaubende Mensch dagegen nimmt den Glauben in Anspruch, wo das Denken an seine Grenzen zu kommen scheint.

Wenn nun aber theologisch über die Schöpfung nachgedacht werden soll, dann geht es darum, Naturwissenschaft und Theologie gerade nicht als ein Entweder-Oder zu betrachten. Aber auch eine andere Falle gilt es zu vermeiden: Die beiden Disziplinen sind von ihrem jeweiligen Ansatz her grundverschieden und dürfen daher nicht vermischt werden. Diese Gefahr besteht etwa, wenn Gott als «intelligenter Designer» nahtlos in eine scheinbar naturwissenschaftliche Betrachtung der Wirklichkeit eingefügt wird. Die Bibel soll dann ergänzen (und nicht selten korrigieren), was die Naturwissenschaften sagen. Dabei droht jedoch verloren zu gehen, was aller Theologie zugrunde liegt: Gott ist im Letzten Geheimnis. Anders als die Natur ist er gerade nicht (be)greifbar und lässt sich nicht mit empirischen Methoden auf einen Nenner bringen.

Auch ohne Gott in ein naturwissenschaftliches Weltbild einzufügen und zugleich ohne die Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften zu ignorieren, lässt sich theologisch über die «Schöpfung» sprechen. Wie das gehen kann, zeigt der Theologe Hans Kessler auf, indem er drei Ebenen unterscheidet, wenn er über die Welt als Schöpfung nachdenkt.1

Der Grund der Welt

Die Frage, warum es die Welt gibt, entzieht sich menschlichem Denken. Auch empirische und sinnliche Zugänge ermöglichen keine Antwort darauf. In der Theologie wird nun Gott als Grund der Welt in Anspruch genommen. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass er quasi das erste Glied einer Kette ist. Damit wäre man wieder beim intelligenten Designer. Eine solche Betrachtung aber würde sowohl von naturwissenschaftlicher als auch von gläubiger Seite her zu Recht kritisiert. Gott wäre dann bloss Lückenbüsser, der da einspringt, wo die empirische Betrachtung nicht weiterkommt. Gottes Schöpfungswirken ist demgegenüber mehr als eine Initialzündung ganz zu Beginn der Zeit: In jedem Moment der Weltgeschichte ist Gott tragender Grund alles Seienden. Dies schliesst ein Ergründen der Welt mit naturwissenschaftlichen Mitteln gerade nicht aus, sondern ein.

Die Eigendynamik der Welt

Wird Gott als tragender Grund der Welt angenommen, so kann zugleich deren Eigendynamik geltend gemacht werden: So, wie die Welt ist, folgt sie ihren eigenen Gesetzen sowie der Kreativität und Freiheit menschlichen Handelns. Die Eigendynamik der Welt lässt sich wissenschaftlich analysieren und in mancher Hinsicht erklären. Den Gottes- bzw. den Schöpfungsglauben müssen solche Analysen und Erklärungen nicht einschränken. Modelle wie etwa die Evolutionstheorie können auch aus gläubiger Sicht als ein Grundmerkmal der Weltwirklichkeit anerkannt werden. Denn mit der Evolution lässt sich vieles (besser) verstehen – ohne dass damit jedoch alles geklärt wäre. Weder die Theologie noch die Naturwissenschaften führen mit ihren Erkenntnissen zu zwingenden Schlussfolgerungen, was die Deutung der Weltwirklichkeit betrifft. Beide lassen vieles offen und bieten so die Möglichkeit, zu staunen und zu glauben (oder auch nicht).

Das Ziel der Welt

Deutet man die Welt ganz aus der Perspektive der Evolution, kommt zwangsläufig eine Selektion in den Blick: Das Schwache muss dem Stärkeren Platz machen. Das Dasein, welches stets auch Kampf ist, kennt kein Erbarmen. Während die Naturwissenschaften sich ganz darauf fokussieren, was ist, wagt die Theologie einen Blick nach vorne und setzt sich auch mit dem auseinander, was sein kann oder sein soll. Theologisch gesprochen wohnt der Schöpfung eine Verheissung und ein Versprechen inne: Gott erschafft die Welt und die Menschen als geliebtes und liebendes Gegenüber. In diesem Glauben schwingt die Hoffnung mit, dass das, was ist, nicht alles sein kann. Gerade der Blick etwa auf das Leiden in der Welt fordert dazu heraus, auf ein Ziel der Schöpfung zu setzen, das ausserhalb ihrer selbst liegt. Die Schöpfung selbst ist demzufolge noch im Werden.

Wer sich mit der Schöpfung auseinandersetzt, kommt nicht umhin, Erkenntnisse aus den Naturwissenschaften sprechen zu lassen. Wer das Ganze der Wirklichkeit zu ergründen sucht, findet jedoch bei den Naturwissenschaften nicht Antworten auf alle Fragen, die sich möglicherweise auftun beim Blick auf die Welt. In diesem Sinne können Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Denken einander ergänzen und bereichern.

  1. Vgl. zum Folgenden: Hans Kessler: Schöpfung, in: Christine Büchner/Gerrit Spallek (Hg.): Auf den Punkt gebracht. Grundbegriffe der Theologie, Ostfildern 2017, S. 219-233.

     

    Bildnachweise: Titelbild: Tintoretto, Die Erschaffung der Tiere, um 1550/53, Öl auf Leinwand, Venedig, Galleria dell’Accademia. Foto: kr / Bild 1: geöffnete Augen. Unsplash@alexagorn / Bild 2: Technik und die Schönheit der Natur. Unsplash@wizwow / Bild 3: Die Erschaffung der Vögel und Fische, 17. Jh., Öl auf Kupfer, Isaac von Posten. Wikimedia Commons / Bild 4: Darstellung der Evolution, Porto. Unsplash@eugenezhyvchik

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