Zwischen Ostern und Pfingsten feiert die Kirche das Fest «Christi Himmelfahrt». Vierzig Tage nach der Auferweckung Jesu (Ostern) und zehn Tage vor der Befähigung der Jünger:innen Jesu zu seiner geistgewirkten Nachfolge (Pfingsten) wird an die Entrückung Jesu zum himmlischen Vater erinnert.
Mancherorts wird das Fest Christi Himmelfahrt richtig inszeniert: Im Gottesdienst wird eine Christusstatue an einem Seil nach oben gezogen und entschwindet so den Blicken der versammelten Gemeinde. Die Aussage scheint klar: Der auferstandene Christus ist jetzt «beim Vater» im Himmel. Die Zeit der (biblisch überlieferten) Erscheinungen des Auferstandenen ist vorbei. Jetzt beginnt eine neue Art und Weise seiner Gegenwart auf Erden: vermittelt durch die Kraft des Heiligen Geistes – etwa in der Gemeinschaft, die sich in seinem Namen versammelt (vgl. Matthäusevangelium 18,20) oder im Abendmahl bzw. in der Eucharistie, die im Gedenken an Jesu Leben und Sterben immer wieder begangen wird.
Ein Blick auf den biblischen Befund dieses Festes mag irritieren: Ein einziger Autor des Neuen Testaments schildert die Himmelfahrt Christi. Der Evangelist Lukas lässt sein Evangelium mit dem Ereignis der Himmelfahrt enden (vgl. Lukasevangelium 24,50-53) und beginnt sein zweites Werk, die Apostelgeschichte mit einer ebenfalls kurzen Episode rund um dieses Geschehen (vgl. Apostelgeschichte 1,9-11). Die «Auffahrt» Jesu Christi zum himmlischen Vater markiert für Lukas einen Wendepunkt: Davor ging es um die Lebensgeschichte Jesu von Nazaret. Alles, was danach kommt (und in der Apostelgeschichte entfaltet wird), handelt von der jungen und wachsenden Kirche. Hauptakteur der Apostelgeschichte, so könnte man sagen, ist nicht mehr Jesus Christus, sondern der Heilige Geist. Diesen Geist hat Gott den Jünger:innen nach Jesu Weggang als Beistand, Trost und Begleitung geschickt.
Historisches Ereignis oder theologische Aussage?
Die Beschreibungen der Himmelfahrt Christi bei Lukas wurden in der Kunst zumeist sehr wörtlich umgesetzt: Da ist ein Mensch, der auf Wolken himmelwärts schwebt und so nach oben hin entschwindet. Lukas dürfte seinen Bericht jedoch nicht als Nacherzählung eines historischen Ereignisses verstanden haben. Jesu Eingehen in die himmlische Wirklichkeit, um das es beim Fest Christi Himmelfahrt geht, liesse sich kaum trennen von dem, was an Ostern gefeiert wird: Mit der Auferweckung Jesu aus dem Tod hat Gott Jesus nämlich bereits ganz «zu sich» genommen. Es spricht vieles dafür, Ostern, Christi Himmelfahrt und Pfingsten zeitlich nicht auseinanderzudividieren, sondern theologisch als ein Fest zu begreifen: Gefeiert wird, dass Gottes Heilshandeln an Jesus Christus zur Vollendung gekommen ist. An der Schilderung der Himmelfahrt bei Lukas wird deutlich, dass Gott selbst der Handelnde ist: Während Jesus die Jünger:innen segnet (aktiv), wird er zum Himmel emporgehoben (passiv) (vgl. Lukasevangelium 24,51).
Dass sowohl der Apostel Paulus wie auch die drei anderen Evangelisten Markus, Matthäus und Johannes keine Schilderungen einer Himmelfahrt kennen, könnte in die gleiche Richtung gedeutet werden. Mit der Auferweckung Jesu und der Erscheinung des Auferstandenen beschliesst Matthäus sein Evangelium, während das ursprüngliche Markusevangelium nicht einmal von Erscheinungen berichtet. Bei Markus endet die Geschichte Jesu mit dem leeren Grab: Auch daraus liesse sich bereits schliessen, dass Jesus nicht mehr «hier» ist, sondern «dort», beim Vater im Himmel. Nochmals einen anderen Akzent setzt die Theologie des Johannesevangeliums: Bereits der am Kreuz hängende Jesus ist der (zu Gott) erhöhte Christus! Die ganze Passionsgeschichte zeigt einen Verurteilten, der in göttlicher Souveränität handelt bzw. das Handeln anderer an ihm geschehen lässt.
Aussagen hinter dem Text
Wenn der Evangelist Lukas Christi Himmelfahrt beschreibt, so stellt er keinen erstmaligen und einmaligen Vorgang dar. Vielmehr greifen seine Sprachbilder auf Vorbilder aus dem Alten Testament und aus der hellenistischen Kultur zurück: Da wie dort gibt es Überlieferungen, wonach bedeutende Männer in den Himmel entrückt wurden. Im Hellenismus sollte durch solche Überlieferungen die Botschaft vermittelt werden: Diese Männer sind in den Kreis der unsterblichen Götter aufgenommen worden. Ihnen gebührt daher nun göttliche Verehrung.
Genau das geht auch aus der Passage bei Lukas hervor: Die versammelten Jünger:innen «fielen vor ihm nieder» (Lukasevangelium 24,52). Sie beten den an, mit dem sie bis vor Kurzem noch durch Galiläa gepilgert sind. Indem er emporgehoben wird und sie – quasi gleichzeitig – vor ihm niederfallen, tut sich der Abstand zwischen ihnen von beiden Seiten her weiter auf. Die Zeit des gemeinsamen Lebens auf dieser Erde ist damit definitiv vorbei. Er ist durch den Tod hindurchgegangen und ganz bei Gott angekommen. Währenddessen sind sie durch all die Ereignisse geprägt worden. Auch sie sind nicht mehr die Gleichen wie vorher, nun jedoch bereit, vorwärtszuschauen und sich dem Neuen, dem Kommenden zu öffnen. In der Apostelgeschichte brauchen die Zurückgebliebenen dazu allerdings noch einen Anstoss von aussen: Zwei Engel mahnen sie, nicht mit Blick nach oben zu verharren, sondern zurückzukehren ins eigene Leben (vgl. Apostelgeschichte 1,10-11).
Ende und Anfang
Christi Himmelfahrt nimmt im Werk von Lukas eine Scharnierfunktion ein: Mit ihr endet das Lukasevangelium, und ihre Schilderung eröffnet die Apostelgeschichte. Da beide biblischen Bücher vermutlich vom gleichen Autor verfasst worden sind, springen die Unterschiede zwischen den beiden Versionen von Christi Himmelfahrt besonders ins Auge.
Die Version im Lukasevangelium ist – wie das Evangelium insgesamt – stark von der Haltung des Lobpreises geprägt. Jesus ist, als er entrückt wird, gerade dabei, die Hinterbliebenen zu segnen. Diese fallen in anbetender Haltung nieder, kehren danach «in grosser Freude» nach Jerusalem zurück, wo sie Gott im Tempel – Ort des Lobpreises par excellence – «immer» preisen (vgl. Lukasevangelium 24,51-52).
Die Apostelgeschichte fokussiert dagegen stärker auf die kommende Geistsendung und die Anfänge der Kirche in Jerusalem. Dementsprechend beziehen sich die letzten Worte Jesu in dieser Version auf den Heiligen Geist. Dieser wird den Jünger:innen angekündigt; er soll sie dazu befähigen, «bis an die Grenzen der Erde» Zeugnis zu geben für Jesus Christus. Auch in der Apostelgeschichte kehren die Hinterbliebenen danach zurück nach Jerusalem, allerdings nicht in den Tempel. Die kleine Gruppe der etwas ratlos Zurückgebliebenen findet sich – fast schon anonym – in einem «Obergemach» ein, in dem sie fortan – bis zur Sendung des Heiligen Geistes – «ständig» bleibt (vgl. Apostelgeschichte 1,8-13). Für die Apostelgeschichte spielt auch noch ein anderer Gedanke mit hinein: In der jungen Kirche ging man davon aus, dass der Retter Christus in absehbarer Zeit als Richter auf die Erde zurückkommen und die Weltzeit beenden würde. Von dieser sog. Naherwartung zeugt auch die Himmelfahrt Christi: So künden die beiden weiss gekleideten Männer den Jünger:innen an, dass Jesus «ebenso» vom Himmel wiederkommen wird, wie er gerade – von einer Wolke – entrückt worden ist (vgl. Apostelgeschichte 1,11).
Den Jünger:innen Jesu, die plötzlich verwaist dastehen, bleibt nicht viel mehr übrig, als das Geschehen zu akzeptieren, das schon längst – spätestens mit der Verhaftung Jesu – eingesetzt hat: Jesu Weggang von ihnen. Die Erzählung der Himmelfahrt Christi in ihren beiden biblischen Versionen zeigt auf, wie es den Jünger:innen gelingt, das Vergangene abzuschliessen und offen und bereit zu werden für das Neue, das an Pfingsten seinen Lauf nehmen wird.1
- Bildnachweise: Titelbild: Auferstehung und Himmelfahrt Christi, in einer Szene zusammengefasst. Matthias Grünewald, Isenheimer Altar, zweite Schauseite, um 1512. Musée Unter Linden, Colmar. / Bild 1: Der Himmelfahrtsfelsen in der Himmelfahrtskapelle auf dem Ölberg in Jerusalem, auf dem der Abdruck des rechten Fußes Jesu beim Aufstieg zu sehen sein soll. Wikimedia Commons. / Bild 2: Der Rat der Götter, Raffael, 1517-18, Fresko in der Villa Farnesina. Wikimedia Commons. / Bild 3: Die sog. „Reidersche Tafel“, eine der ältesten Darstellungen der Himmelfahrt, ca. 400 n. Chr., Elfenbeinschnitzerei, heute im Bayrischen Nationalmuseum
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