«Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung» – unter diesem Thema steht die «Weltsynode» 2021–2024, die im Oktober in Rom in ihre zweite und abschliessende Runde geht. Es geht um nichts weniger als um die Frage, wie Kirche – nicht zuletzt angesichts der erschütternden Skandale und Krisen – gestaltet sein soll. Aber wie passen Synodalität oder gar Demokratie mit der römisch-katholischen Kirche zusammen?
Wenn wir ins Neue Testament schauen, stellen wir fest: Das Thema der Weltsynode – Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung – gehört sozusagen zur DNA der Jesusbewegung. Die Evangelien zeichnen die Jesusbewegung als Nachfolgegemeinschaft. Nach dem Markusevangelium beginnt das öffentliche Auftreten Jesu damit, dass er vier Fischer vom See Gennesaret aus ihrem Alltag heraus in seine Gemeinschaft ruft – noch bevor er den ersten Dämon vertreibt oder die erste Person heilt (vgl. Markusevangelium 1,16-20). Gemeinschaft gehört also von Anfang an und vor allem anderen dazu. Auch das Johannesevangelium erzählt direkt im Anschluss an den Prolog, noch bevor Jesus sein erstes «Zeichen» vollbringt, wie sich die Jesusgemeinschaft formiert: Menschen «kommen», «sehen» und «bleiben» bei Jesus, so die zentralen Stichworte im Johannesevangelium (Johannesevangelium 1,19-51). Erst danach beginnt das Wirken Jesu in der Öffentlichkeit mit dem Weinwunder zu Kana (Johannesevangelium 2,1-11).
Teilhabe und Verantwortungsübernahme
Diese Menschen, die von nun an das Leben Jesu teilen, erhalten Verantwortung: Sie sollen «Menschenfischer» werden (Markusevangelium 1,17). Schon während der Zeit in Galiläa zeigt das Markusevangelium, wie das gemeint ist: Jesus sendet sie aus und stattet sie mit Vollmacht aus, um genau das Gleiche zu tun wie er selbst: die neue Welt Gottes verkünden, Kranke heilen, Dämonen austreiben (Markusevangelium 6,7-13). Nach dem Markusevangelium sind es die Zwölf, die von Jesus in dieser Weise ausgesandt werden, nach Lukas sind es 72 Jünger:innen (Lukasevangelium 10,1-12). Nach Darstellung der Evangelien sind die Ausgesandten erfolgreich in ihrem Tun.
Das zeigt: Jesus beteiligt die Menschen, die mit ihm auf dem Weg sind, an seinem Reich-Gottes-Projekt. Er stattet sie mit Vollmacht aus und befähigt sie zur Verantwortungsübernahme – und schafft damit eine wichtige Grundlage dafür, dass diese Gemeinschaft nach seinem Tod den begonnenen Weg weitergehen und das aufbauen konnte, was sich viel später zur «Kirche» entwickeln sollte.
Machtverzicht und gegenseitiges Dienen
Dabei sind die Zwölf keine Vorläufer der Bischöfe oder anderer Amtsträger, wie sie sich im Laufe der Kirchengeschichte herausgebildet haben. Vielmehr sind die Zwölf von Jesus her zeichenhafte Repräsentanten des Zwölfstämmevolkes Israel; denn Jesus wollte zeigen, dass Gott jetzt dabei war, sein Volk zu sammeln, so wie es in den Schriften Israels verheissen ist. Wenn Jesus also einen Zwölferkreis um sich sammelte, war das ein Teil seiner Botschaft von der neuen Welt Gottes.
Die Evangelien zeichnen die Zwölf dann als Repräsentanten aller Jünger:innen. Mit ihnen sollen Leser:innen lernen, Jesus recht zu verstehen, und an ihrem Beispiel sollen sie lernen, was es heisst, in der Nachfolgegemeinschaft Jesu zu leben: auf Macht zu verzichten und einander zu dienen. So schreibt es Jesus den Zwölfen ins Stammbuch, als zwei von ihnen, Jakobus und Johannes, die Machtpositionen zur Rechten und Linken von Jesus für sich reservieren wollen:
«Ihr wisst doch: Die als Herrscherinnen und Herrscher über die Völker gelten, herrschen mit Gewalt über sie, und ihre Anführer missbrauchen ihre Amtsgewalt gegen sie. Bei euch soll das nicht so sein! Im Gegenteil: Wer bei euch hoch angesehen und mächtig sein will, soll euch dienen, und wer an erster Stelle stehen will, soll allen wie ein Sklave oder eine Sklavin zu Diensten sein.» (Markusevangelium 10,42-44, Bibel in gerechter Sprache)
Eine Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten
An vielen Stellen zeigt sich, wie sehr die Gruppe um Jesus als «Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten»1 gedacht war. So stellt Jesus die Frage, wer denn seine Familie sei – und beantwortet sie gleich selbst:
«Ihr seid meine Mutter und meine Geschwister. Alle, die den Willen Gottes tun, sind mein Bruder, meine Schwester und Mutter.» (Markusevangelium 3,34, Bibel in gerechter Sprache)
In der Aufzählung der Mitglieder der neuen Familie fehlt ein Familienmitglied: der Vater. Dass dies kein Zufall ist, zeigt eine weitere Szene im Markusevangelium. Da hält Petrus seinem Freund und Lehrer Jesus vor, wie viel sie für das Leben in der Nachfolge Jesu aufgegeben und wen sie alles verlassen hätten. Jesus antwortet ihm:
«Ja, ich sage euch: Alle, die meinetwegen und wegen der frohen Botschaft Haus, Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Felder verlassen haben, werden hundertfach empfangen: jetzt in dieser Zeit Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Felder – wenn auch unter Verfolgungen. Und in der kommenden Ewigkeit das ewige Leben». (Markusevangelium 10,29-30)
Beim genauen Lesen zeigt sich: Während der Vater zu denen gehört, die verlassen werden, fehlt er in der Aufzählung derer, die in der neuen Familie Jesu wieder hinzugewonnen werden.
Dass beide Male ausgerechnet der Vater fehlt, liegt nicht daran, dass Jesus oder Markus etwas gegen Väter gehabt hätten. Vielmehr war die Position des Vaters im antiken Gesellschaftssystem mit enormen Machtbefugnissen ausgestattet. Der Vater als Oberhaupt der Familie, der pater familias, hatte weitreichende Verfügungsgewalt über die Mitglieder seiner Familie und seines Hauswesens, angefangen von der Ehefrau, über die Kinder und weitere Familienangehörige, bis hin zu den Bediensteten. Eine mit solcher Machtfülle ausgestattete Rolle war offenbar nicht geeignet, eine Position in der Jesusbewegung zu umschreiben. Sie steht allein Gott zu: Er allein soll Vater genannt werden (vgl. Matthäusevangelium 23,9). Was es in der Jesusgemeinschaft hingegen gibt, sind die weitgehend gleichberechtigten Positionen von Brüdern, Schwestern und Müttern.
Die Kraft der Veränderung
Dass zur Jesusbewegung von Anfang an auch Frauen gehörten, die Jesus als Jüngerinnen nachfolgten, zeigen die Evangelien in aller Deutlichkeit. Sie zeigen die nachfolgenden Frauen gerade in den sensiblen Zeiten von Karfreitag und Ostern als diejenigen, die in Jerusalem ausharrten, als die übrigen Jünger geflohen waren, und es aushielten, das Sterben Jesu am Kreuz mitanzusehen und sein Begräbnis zu beobachteten – und die am Ostermorgen die Botschaft erhielten, dass der Gekreuzigte auferweckt wurde. Das Lukasevangelium zeigt die Frauen darüber hinaus bereits während der öffentlichen Wirksamkeit Jesu als diejenigen, die mit ihm und den Zwölfen von Dorf zu Dorf unterwegs waren (Lukasevangelium 8,1-3).
Getragen war dieses gleichwürdige Miteinander von der Kraft der Reich-Gottes-Botschaft Jesu. Wenn Gottes neue Welt Gestalt annahm, dann konnte es nicht mehr mit den alten Machtverhältnissen weitergehen, dann sollten alle Menschen gleiche Würde und gleiches Ansehen erhalten, dann konnte es keinen Ausschluss bestimmter Menschengruppen geben. Nichts musste so ungerecht bleiben wie es war, alles konnte neu und anders werden. Insofern liegt ein enormes Transformationspotential in der Botschaft Jesu vom anbrechenden Gottesreich. Wie Menschen miteinander versuchten, ein solches von der Kraft des Gottesreiches getragenes, neues und gleichwürdiges Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, von unterschiedlichem gesellschaftlichem Status und von unterschiedlichem Geschlecht zu praktizieren, zeigen die Briefe des Paulus in eindrücklicher Weise.
«Synodalität» im Neuen Testament
Schon diese wenigen Beispiele machen deutlich, wie tief die Themen der Weltsynode, Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung, im Neuen Testament verankert sind. Darüber hinaus zeigt sich, dass das Neue Testament kein Problem mit Mehrheitsentscheidungen hatte. So respektiert Paulus einen Beschluss der Mehrheit der Gemeinde von Korinth (2. Korintherbrief 2,6-8), und auch das Matthäusevangelium rechnet mit gemeinschaftlichen Entscheidungen der ganzen Gemeinde (Matthäusevangelium 18,15-17) und schreibt ihnen höchste Binde- und Lösekraft zu:
«Wahrhaftig, ich sage euch: Alles, was ihr auf der Erde bindet, soll im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf der Erde löst, soll im Himmel gelöst sein.» (Matthäusevangelium 18,18, Bibel in gerechter Sprache)
Als Modell eignet sich auch das Vorgehen der Jerusalemer Synode, wie es in der Apostelgeschichte erzählt wird. Unterschiedliche Menschen kommen zu Wort und können ihre Erfahrungen und Argumente einbringen, man hört aufeinander, und es wird miteinander ein Konsens gesucht:
«Da beschlossen die Apostel und die Ältesten mit der ganzen Gemeinde …» (Apostelgeschichte 15,22, Bibel in gerechter Sprache)
Und wohlgemerkt: Es geht dabei mit dem Thema der Beschneidung um eine Frage, die weichenstellend für die weitere Entwicklung der Jesusgemeinschaft sein würde.
Notwendige Reformen
Wie immer führt kein direkter Weg von der Bibel zu den heutigen kirchlichen Strukturen. Es liegen nicht nur 2000 Jahre Kirchengeschichte mit ihren Entwicklungen, sondern auch das geltende Kirchenrecht mit seinen Vorgaben dazwischen. Dennoch können und müssen die biblischen Texte Grundlage, Orientierungsrahmen und Bezugspunkte heutiger Entwicklungen sein. Denn in solch tiefgreifenden Veränderungsprozessen, vor denen und in denen die katholische Kirche heute steht, ist es unabdingbar, sich auf die eigenen Quellen und Grundlagen zu besinnen und aus der Verbindung mit diesen heraus die Veränderungen anzugehen.
Die Weltsynode ist zweifellos ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Veränderung. Das geplante Thema der Synodalität ist in der Tat zentral. Doch wurden drängende inhaltliche Themen wie der Frauendiakonat oder gleichgeschlechtliche Beziehungen ausgeklammert und in zehn Studiengruppen ausgelagert. Es ist zu hoffen, dass dies nicht eine Verschiebung dringend anstehender Veränderungen auf einen Sankt-Nimmerleins-Tag bedeutet. Die vielfach und wortreich beschworenen «Würde der Getauften» oder die «besondere Berufung der Frau» müssen endlich ihren Niederschlag in konkreten Beteiligungsstrukturen finden.
Nun soll aber immerhin ein Schritt hin zu einer synodaleren Kirche gegangen werden. Der Blick ins Neue Testament zeigte diesbezüglich viel Ermutigendes. Synodalität oder Demokratie nannte die Jesusbewegung damals ihr Zusammensein zwar nicht. Aber mit Blick auf den heutigen immensen Reformbedarf in der Kirche könnte man sich sicher inspirieren lassen vom Geist des Anfangs, vom Miteinander auf Augenhöhe, von der Teilhabe aller, vom gemeinsamen Suchen nach Wegen und vom Mut zu neuen Schritten.
- Der Begriff wurde massgeblich geprägt von Elisabeth Schüssler Fiorenza: Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988, bes. Teil II: S. 137–296.
Bildnachweise: Titelbild: Offizielles Logo der Weltsynode 2021-2024. Bild: Kathbern.ch / Bild 1: Fresko „Christus und die 12 Apostel“ und Christussymbol „Chi Rho“ 1. Domitilla-Katakomben, Rom. Wikimedia Commons / Bild 2: Eine Mutter sitzt mit ihren Kindern auf einer Bank. Unsplash@benjaminmanley / Bild 3: Buntes Kirchenfenster, Die Frauen bei der Kreuzigung. Saint Matthew the Apostle Church (Gahanna, Ohio). Wikimedia Commons / Bild 4: Aufnahme in der Beratungsaula der ersten Etappe der Weltsynode im Oktober 2023. Kathbern.ch
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