Über Jahrtausende war das Wort G-O-T-T nicht erklärungsbedürftig. Heute aber ist vielen Menschen unklar, was dieses Wort ausdrücken soll. Gibt es einen Weg zu einem zeitgemässen Verständnis?
Ja, Sie haben richtig gelesen! Unter dieser skurrilen Überschrift erwartet Sie ein Thema, das nachdenklichen Christ:innen und natürlich auch der Theologie unter den Nägeln brennt: Was die vier Buchstaben G-O-T-T heute aussagen können. Was braucht eine Gottesrede, die sich nicht in Floskeln und problematischen Vorstellungen erschöpft?
Heute ist dabei ein sehr wichtiges Stichwort. Über Jahrtausende war das Wort G-O-T-T in keiner Weise erklärungsbedürftig. Die Menschen haben mit ihren Göttinnen und Göttern zwar sehr unterschiedliche Vorstellungen, Charaktereigenschaften und Wirkungsorte verbunden. Aber das ihnen zugrunde liegende Konzept – was Gott-sein ausmacht und wie Götter verehrt werden müssen – das blieb über sehr lange Zeit und über die Kulturen hinweg praktisch Allgemeinwissen. Der Gott-Glaube war eine Grundkonstante des menschlichen Lebens und war nicht einmal ansatzweise hinterfragbar (Philosophen, die sich nicht daran hielten, wurden ausgestossen oder mussten den Schierlingsbecher trinken – beste Grüsse von Sokrates). Die Überzeugung dieser Zeit: Jeder Mensch lebt in irgendeinem Verhältnis zu Gott oder Gött:innen – Punkt.
An Gott glauben – früher…
Heute ist dieses Gott-Konzept – zumindest bei uns in Mitteleuropa – weitgehend obsolet geworden. Aktuelle Studien zeigen den für Religionsgemeinschaften sehr ernüchternden Befund, dass die genannten Buchstaben G-O-T-T von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr verstanden werden. «Verstanden werden» hier im ganz alltäglichen Sinn. Wenn Sie gleich das Wort «Elefant» mit einer Farbe als Attribut lesen: ROSA ELEFANT – haben Sie ohne grosses Nachdenken einen rosafarbenen Elefanten vor Augen, auch wenn ein solches Tier in unserer Welt nicht vorkommt. GOTT löst bei vielen Menschen dagegen gar nichts mehr aus, das Konzept «Gott», oder sagen wir: die Chiffre «Gott» ist für sie vollständig bedeutungs- und assoziationslos geworden.
Die Hintergründe dieser Entwicklung – die sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch weiter verschärfen wird – sind zahlreich und sollen hier auch keine grössere Rolle spielen. Als eine der Ursachen sei jedoch zumindest das «Säurebad» der Aufklärung benannt, das seit bald 300 Jahren in unseren Breitengraden aufgestellt ist. Dieses Bad stellt sicher, dass nur das als «echte» Wahrnehmung und Erkenntnis zählt, was Menschen auch tatsächlich mit ihrer Vernunft und ihren Sinnen erkennen können. So wie es unedles Metall enttarnt, so offenbart dieses Säurebad alle anderen menschlichen Vorstellungen als blosse Spekulation (die theologische Schwester der haltlosen Phantasterei). Im Mittelalter war es dagegen an den theologischen Fakultäten völlig normal, sich ernsthafteste Gedanken über den Aufbau und die Funktion der himmlischen Heerscharen – Cherubinen und Serafinen – zu machen. Oder genau zu definieren, welche Eigenschaften und Fähigkeiten Gott hat. Berühmt sind aus dieser Zeit bis heute die sogenannten «Gottesbeweise», die den christlichen Gott zwar nicht «beweisen» wollen, aber seinen Charakter doch ziemlich genau zu kennen meinen. Der mittelalterliche Theologe Anselm von Canterbury formuliert seine Definition Gottes (in ihrer Grundform) beispielsweise so: «Gott ist dasjenige, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.»
… und heute
Viele grosse Philosophen und Religionskritiker seit der Aufklärung haben solche Charakterisierungen und Beweise abgelehnt und die daran anknüpfenden «theistischen» Gottesvorstellungen verurteilt. «Theismus» meint dabei den Glauben an eine absolute Gottheit, die der Welt gegenübersteht, sie erhält und lenkend in sie eingreift. Eine Gottheit, die im Christentum sogar noch als «personal» vorgestellt wird und mit zahlreichen positiven Eigenschaften belegt ist: Gott, der Liebende, der Barmherzige, der Gerechte usw.
Der bekannte Religionskritiker Ludwig Feuerbach (1804-1872) hat sicher einen Punkt, wenn er diese «theistische» Gottesvorstellung problematisiert. Für ihn ist sie nämlich nichts anderes als die Projektion eines idealisierten Menschen in den Himmel. Wenn wir also in den Kirchen und auf Gemälden alte Männer mit Rauschebärten als Gottvater sehen, sagt das nach Feuerbach mehr über menschliche Wunschvorstellungen nach einem altväterlichen Gott als nach der «echten» Frage nach Gott aus.
Hier kommt nun auch das fliegende Spaghettimonster aus dem Titel wieder ins Spiel, das von den sogenannten «Pastafari» (ein Kofferwort aus «Pasta» und «Rastafari») als göttliches Wesen angebetet wird. Ausgeübt wird dieser «Glauben» selbstverständlich als Parodie auf die grossen Religionsgemeinschafen, die – aus der Sicht der Pastafari – sich anmassen, einen Gott zu glauben, von dem man auch noch vieles zu «wissen» meint.
Nun könnte man diese Parodie als Christ:in einfach weglächeln – aber das beseitigt nicht den Giftstachel, den sie in das Fleisch von Gläubigen setzt. Denn es ist ja eine Tatsache, dass auch viele Gläubige mit ihrer ganz persönlichen Gottesvorstellung ringen – wohl wissend, dass ein kindlicher Glaube an den liebevollen «Vater» (hier betont männlich) im Himmel als Versuchung des eigenen Glaubens häufig näher liegt als andere, abstrakte, «theologische» Zugänge. Die eingangs beschriebene Glaubenskrise in Bezug auf Gott rührt sicher zu einem guten Teil auch von der wirklich schwierigen Problemstellung her, vor der Christ:innen heute stehen: Nämlich eine Beziehung zu Gott zu leben, ohne wieder in die beschriebene theistische «Falle» zu tappen.
Wege zu einem a-theistischen Glauben
Fragen wir uns also selbstkritisch: Wie könnte ein solcher a-theistischer Glaubensweg aussehen – also ein Weg, der sich der theistischen Versuchung eines bärtigen Rettergottes im Himmel entzieht; der Vorstellung eines Gottes, der mir schon helfen wird, wenn ich im Leben alles «richtig» mache?
Ein Fundament dieses Weges ist mit ziemlicher Sicherheit, dass man mit dem Wort «Gott» keine Person verknüpfen darf, die es «gibt». Gott «gibt» es nicht im menschlichen Sinn von «Dasein» oder «Existenz»; theologisch gesprochen ist Gott der «ganz andere». Dieses «ganz andere» bedeutet eine grosse Verneinung: ein Nein gegen die Anmassung, mit Gott rechnen zu dürfen, ja überhaupt schon etwas über ihn aussagen zu können. Verstehen wir doch Gott besser als den einzig passenden Namen für das Wunder unserer Welt und unseres Lebens; für das Rätsel, das überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Gott ist der beste und einzige Name für dieses Geheimnis, das wir Menschen niemals werden lösen können, weil es ausserhalb jeder naturwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeit liegt.
Ein weiteres Fundament eines a-theistischen Glaubens wurde im vergangenen Jahr mit einem anderen Beitrag («Wo wohnt Gott») besprochen: Die theologische Lehre des sogenannten «Panentheismus» legt nahe, dass sich Gott nicht ausschliesslich ausserhalb unserer Welt befindet. Wir dürfen vielmehr daran glauben, dass Gott die Welt bis in die letzte Pore durchdringt. Was wäre damit gewonnen? Nun, Gott wäre dadurch Teil unserer Wirklichkeit und er wäre im «Du» des Gebets oder der Hoffnung ansprechbar. Allerdings: Man spricht mit dem «Du» dann nicht ein irgendwie «existierendes» Gegenüber an, sondern ein eher symbolisches Du, das in seinem Geist überall in der Welt vorhanden ist und sie belebt.
Ein letztes Fundament ist vielleicht das wichtigste: Auf die Erfahrung kommt es an. Der a-theistische Glauben lebt aus der Offenheit für die Erfahrung, dass es ein «Mehr» als die bloss materielle Welt gibt – ein «Mehr», das auch uns betreffen kann, wenn wir für es offen sind. Diesen Mut zur Erfahrung hat Karl Rahner in folgendem berühmten und häufig nur verkürzt wiedergegebenen Satz angemahnt: «Der Fromme von morgen wird ein ‘Mystiker’ sein, einer, der etwas ‘erfahren’ hat, oder er wird nicht mehr sein.» Glaubenssätze, die für den Theisten «Brot und Butter» sind, spielen für die a-theistisch Glaubenden nur eine vergleichsweise geringe Rolle. Im Mittelpunkt steht für sie die Erfahrung, sich vom Geheimnis des Lebens spirituell ansprechen zu lassen, und auf eigene Weise auf diese Resonanz zu antworten.
… und so schliesst sich der Kreis
Und damit schliesst sich der Kreis wiederum zur Kernbotschaft des Christentums: Wie könnten Christ:innen anders auf diese Erfahrung des grossen Geheimnisses des Lebens und die Erfahrung des «Mehr» antworten, als indem sie es bewahren und schützen – mit grosser Sensibilität für die Ungerechtigkeiten des Daseins und mit ihrer Unterstützung für die Armen und Schwachen nach dem Vorbild Jesu? Eines ist gewiss: Kein fliegendes Spaghettimonster könnte eine solche Antwort hervorrufen.1
- Bildnachweise: Titelbild: Als Parodie auf Religionsgemeinschaften, die behaupten, etwas von Gott zu «wissen», beten die «Pastafari» das fliegende Spaghettimonster an. Niklas Jansson, Wikimedia Commons / Bild 1: Der Tod des Sokrates, herbeigeführt durch den Schierlingsbecher, Jacques-Louis David, 1787 n. Chr., Öl auf Leinwand, heute im Metropolitan Museum of Art, New York. Wikimedia Commons / Bild 2: Portraitfoto vom Ludwig Feuerbach um 1866. Wikimedia Commons / Bild 3: Ein Blumenfeld und ein Weg im Wald. Unsplash@jack_skinner / Bild 4: Decke des Chapter House in der Cathedral and Metropolitical Church of Saint Peter in York. Unsplash@andrewcrossley
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