Die Weihnachtsfeiertage sind vergangen, das Neue Jahr ist noch nicht angebrochen. An diesen Tagen «zwischen den Jahren» scheint die Zeit still zu stehen. An manchen Orten ruht die Arbeit, und viele haben plötzlich, was sie sonst so sehr vermissen: Zeit.
Der Beginn eines neuen Kalenderjahrs stellt für viele Menschen eine zeitliche Zäsur dar. Es beginnt etwas Neues. Das zeigt sich äusserlich nicht nur in einer Zahl, sondern etwa auch daran, dass ein neuer Kalender an die Wand gehängt wird und die abgegriffene Agenda ersetzt wird (für diejenigen jedenfalls, die in dieser Hinsicht noch «analog» unterwegs sind).
Dieser Übergang scheint – auf den ersten Blick – quer zu stehen zum Rhythmus des Kirchenjahres. Das Kirchenjahr beginnt am 1. Adventssonntag gleich mit einem ersten grossen Festkreis: dem Weihnachtsfestkreis, welcher bis zur Taufe des Herrn am 6. Januar dauert. Mitten in diesen Festkreis hinein also gibt die «bürgerliche» Zeit einen eigenen Impuls zur Besinnung.
Rückblick…
Für viele Menschen ist ein Jahreswechsel Anlass, zurückzublicken auf das Vergangene. Die oftmals beschaulichen Tage nach dichten Weihnachtsfeierlichkeiten bieten dazu einen idealen Rahmen: Was ist in den vergangenen zwölf Monaten alles geschehen? Während gesellschaftliche und weltliche Ereignisse der letzten 365 Tage in den Medien nochmals rekapituliert und übersichtlich zusammengestellt werden, kann eine solche Gesamtschau auch für das eigene Leben interessant und hilfreich sein. Welches waren für mich die «Hoch-Zeiten» dieses Jahres – und wie hüte ich sie in meiner Erinnerung? Mit welchen Menschen konnte ich Wesentliches teilen, und wo sind Beziehungen weitergewachsen und vertieft worden – oder gar neu entstanden?
Was waren im ausklingenden Jahr meine persönlichen Themen? Wenn ich auf mein Tun und Lassen, auf die zurückgelegten inneren und äusseren Wege zurückblicke: Worauf bin ich stolz, und worauf (und wem gegenüber) dankbar?
Gibt es aber auch Enttäuschungen, welche das vergangene Jahr mit sich gebracht hat, Dinge, die ich am liebsten ungeschehen machen oder vergessen würde? Wie bin ich – rückblickend – damit umgegangen, dass vielleicht nicht alles «nach Plan» lief? Und wie kann es gelingen, mit diesen Wunden, die das zu Ende gehende Jahr hinterlassen hat, weiterzugehen?
Der Kreativität sind beim persönlichen Jahresrückblick keine Grenzen gesetzt. Es kann helfen und anregend sein, mit Stift und Farben das Erlebte auf Papier zu bringen oder mit Schnipseln und Bildern aus alten Zeitungen und Zeitschriften eine Collage «meines» Jahres anzufertigen. Vielleicht entfaltet sich das Zurückblicken aber auch am besten im Gespräch mit einem vertrauten Menschen – oder im Gebet.
…und Ausblick
Während mit dem alten Jahr unzählige Erfahrungen, Ereignisse, Entwicklungen und Erinnerungen verbunden sind, ist das neue Jahr noch ein unbeschriebenes Blatt. Dem Bevorstehenden begegnet man mit Erwartungen, Hoffnungen, möglicherweise auch mit gewissen Ängsten und Fragen. Auch wenn das anbrechende Jahr voller Handlungsspielräume sein wird, wird auch vieles seinen Lauf nehmen, was nicht in meiner Hand liegt. Vage Befürchtungen und insgeheime Hoffnungen haben beim Ausblick auf das Kommende genauso ihre Berechtigung wie eigene Pläne und Ziele.
So kann ich mich in diesen Tagen fragen: Was kommt im kommenden Jahr auf mich zu? Welche Ereignisse und Schritte stehen für mich an? Was wären meine Wünsche und Hoffnungen im Grossen wie im Kleinen? Gibt es etwas, das ich mir bewusst vornehmen möchte? Und nehme ich – ausgehend von den Erfahrungen des vergangenen Jahres – vielleicht ein Motto, einen Merksatz, ein Lied oder eine Erinnerung mit, an der/dem ich mich in nächster Zeit orientieren möchte?
Mit Vorsatz voran
Gute Vorsätze sind in dieser Zeit keine Mangelware. Der Neubeginn eines Jahres motiviert dazu, im eigenen Leben Verhaltensweisen zu überdenken und neue Wege einzuschlagen. Damit man sich mit guten Vorsätzen nicht überfordert, etabliert sich in der Gesellschaft der Trend, den Januar als Monat von Veränderungen zu gestalten: Unter dem Begriff «Veganuary» (aus «vegan» und «Januar») versuchen Leute, sich einen Monat lang vegan zu ernähren – als Aktion für das Tierwohl und gegen den Klimawandel. Andere setzen auf den «Dry January», den «trockenen Januar» und verzichten einen Monat lang auf Alkohol – der eigenen Gesundheit zuliebe.
Mit solchen und anderen Vorsätzen sollen Gewohnheiten durchbrochen und in einem zweiten Schritt Veränderungen im eigenen Leben angeregt werden. Ziel ist ein besseres Leben.
Der Gedanke der Veränderung, des Verzichts und der Neuausrichtung des Lebens ist der christlichen Tradition nicht fremd. Das Kirchenjahr kennt zwei grosse «Fastenzeiten», welche als Vorbereitung auf bedeutende Feste dienen: In der «Österlichen Busszeit» (umgangssprachlich als die Fastenzeit bekannt) bereiten Christ:innen sich vor auf das Fest der Auferstehung Jesu, die vierwöchige Adventzeit ist im Grunde eine Zeit der Besinnung und des Fastens im Hinblick auf das Fest der Geburt Jesu. Dass mit dem kalendarischen Jahreswechsel ein weiterer Impuls zur Neubesinnung und Veränderung gegeben ist, fügt sich – genau betrachtet – eigentlich ganz gut in das Kirchenjahr ein.
Jahreswechsel an der Krippe
Das Neugeborene in der Krippe vermittelt die eine grosse Botschaft: Immanuel – Gott ist mit uns, unter uns, für uns da! Der Anfang eines jeden Menschenlebens steckt voller Verheissung, ist aber auch äusserst fragil. Mit der Geburt Jesu als des Immanuel setzt Gott ein handfestes und unverbrüchliches Zeichen seiner Gegenwart und Zuneigung zu dieser Welt und ihrer Menschheit.
Der Zeitpunkt eines neuen Kalenderjahres könnte vom Kirchenjahr aus betrachtet kaum günstiger sein: Die Krippe kann in diesen Tagen «zwischen den Jahren» zu einem Ort der Besinnung werden – auf das eigene Leben, auf den Lauf der Geschichte, auf die vielen verschiedenen Enden und Anfänge, die hinter uns und vor uns liegen. Die Gedanken, die bei mir in diesen ruhigen Tagen des ausklingenden Jahres anklingen, können mir für das kommende Jahr mit all den Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsspielräumen, die es für mich bereithält, zum Wegweiser werden.1
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