Wie in der Kirche Entscheidungen zustande kommen, ist eine der wichtigsten Fragen auf dem Weg zu einer synodalen Kirche. «Einsame Entscheidungen» von Amtsträgern sollen durch gemeinsames Beraten, Unterscheiden und Entscheiden abgelöst werden. Das erfordert einen neuen Stil des Miteinanders, aber auch Strukturreformen. Mit diesem Thema hat sich die Weltsynode intensiv befasst.
Die Weltsynode als Lernprozess
2021 kündete Papst Franziskus an, es solle eine Bischofssynode zum Thema «Synodalität» stattfinden.1 Das zentrale Anliegen war die Stärkung von Gemeinschaft, Beteiligung und Ausrichtung auf den Auftrag der Kirche. Der Prozess begann mit der Befragung der Basis und führte über die Bistümer, die nationalen und kontinentalen Bischofskonferenzen bis zu den Sitzungen der Weltsynode von 2023 und 2024. Das Vorgehen wurde mehrfach angepasst, um die Partizipationsmöglichkeiten zu erweitern und weil sich zeigte, dass der ursprüngliche Fahrplan zu gedrängt war, um wirklich gegenseitiges Zuhören und gemeinsame Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Was zu Beginn noch «Bischofssynode» hiess, wurde in «Synode» umbenannt, um deutlich zu machen, dass die ganze Kirche Gottes zu einer Synode zusammengerufen ist. Zudem erhielten an dieser Synode erstmals nichtbischöfliche Delegierte Stimmrecht, darunter über 50 Frauen. Und am Ende der zweiten Sitzung der Synode im Oktober 2024 verkündete Papst Franziskus zur Überraschung aller, das Abschlussdokument der Synode2 sei «Teil des ordentlichen Lehramtes». Er verzichte daher auf ein «nachsynodales Schreiben». In solchen Schreiben hatten die Päpste bisher die verbindlichen Ergebnisse der synodalen Beratungen festgehalten.3
Schon diese Blitzlichter zu den Entwicklungen im Laufe der Weltsynode lassen erkennen, dass die Betonung des «Hörens», der «Partizipation», des «gemeinsamen Beratens» und des «voneinander Lernens» keine leeren Worte waren. Papst Franziskus signalisierte, dass sich die «lehrende Kirche» in eine lernende Organisation transformieren soll. Selbst der Träger des höchsten Amtes braucht nicht das letzte Wort zu haben. Er kann seine Leitungsverantwortung auch wahrnehmen, indem er sich die Ergebnisse der Beratungen zu eigen macht, zur Umsetzung empfiehlt und ihnen so zusätzliches Gewicht gibt.
Die Weltsynode ist zu Ende – der synodale Prozess beginnt erst
Im März 2025 hat der schwer kranke Papst Franziskus entschieden, wie es weitergehen soll. Dabei hat er betont, dass primär die Ortskirchen in der Pflicht sind, die synodale Transformation voranzubringen. Und er hat für 2028 auf weltkirchlicher Ebene eine «Kirchenversammlung» angekündigt.4 Damit entwickelt sich das Verständnis von Synodalität nochmals weiter: Von Anfang an sollen nicht nur Bischöfe und Kardinäle, sondern Vertretungen des gesamten Volkes Gottes an der Verantwortung beteiligt werden. Und während die römischen Dokumente zur Synodalität bisher strikte zwischen «beraten» (decision-making) und «entscheiden» (decision taking) unterschieden und letzteres den Amtsträgern vorbehielten, zeichnet sich nun ein Modell ab, das beides stärker miteinander verzahnt. Diese neue Form gemeinsamen Entscheidens und Beratens wird in Lateinamerika bereits gelebt und wurde während der Weltsynode auf kontinentaler Ebene weltweit erprobt. Solche Kirchenversammlungen können in Zukunft auch auf nationaler Ebene die Bischofskonferenzen ergänzen, um alle Getauften, auch die Frauen und die Nicht-Geweihten, an Entscheidungen zu beteiligen und so Schritte in Richtung geteilter Macht zu gehen.
«Spiritualität», «Kreislauf-Qualität» und «Kontextualität» als Merkmale synodaler Prozesse
Wichtige Anstösse gibt die Weltsynode aber nicht nur zur Frage, wer an Entscheidungen beteiligt wird, sondern auch dazu, wie gute gemeinsame Entscheidungen zustande kommen.5 Für dieses «wie» sind drei Stichworte wichtig: «Spiritualität», «Kreislauf-Qualität» und «Kontextualität».
Entscheidend für die spirituelle Qualität synodaler Entscheidungsprozesse sind das «Hören» und das «Unterscheiden». Es geht darum, die eigene Meinung in einem ersten Schritt zurückzustellen und so aufmerksam wie möglich darauf zu hören und zu achten, was die anderen sagen, wie die «Zeichen der Zeit» und der konkrete Kontext zu uns sprechen, was für Impulse von biblischen Texten ausgehen und wie die unterschiedlichen Stimmen sich ergänzen und einen vielfältigen Klang ergeben. In einem zweiten Schritt geht es darum, gemeinsam zu «unterscheiden», was sich im Gehörten und im Verlauf des Prozesses Erlebten als Stimme des Heiligen Geistes und als Anstoss des Evangeliums für die Sendung der Kirche erweist. Als hilfreiche Methode erprobte und empfiehlt die Weltsynode das sogenannte «Gespräch im Geist». Die «runden Tische» an der Weltsynode wurden zum «Markenzeichen» für dieses Anliegen.
Die Kreislauf-Qualität synodaler Entscheidungsprozesse ergibt sich aus dem Weg-Charakter des synodalen Kircheseins: Auf das Hören, Unterscheiden, Beraten und Entscheiden folgt die Umsetzung. Diese bedarf der Evaluation und dann ist darüber Rechenschaft abzulegen, womit sich der Kreislauf schliesst. Die Weltsynode betont in diesem Zusammenhang, dass Transparenz, offene Information und Begründung von Entscheidungen dafür unerlässlich sind.
Beraten und entscheiden geschieht nie im luftleeren Raum, sondern in Situationen, die sich von Ort zu Ort unterscheiden und im Laufe der Zeit verändern. Besonderen Wert legt das Abschlussdokument der Weltsynode darauf, dass synodales Entscheiden und Beraten immer den konkreten Kontext und die jeweils betroffene Ebene des kirchlichen Lebens zu beachten hat. Deshalb ist muss der Spielraum für dezentrale Lösungen erweitert werden. Gefordert werden sind dabei auch ökumenische und interreligiöse Offenheit sowie der Blick auf die ganze Menschheit und die Verantwortung für die Schöpfung.
Kultur- und Strukturwandel
Es ist unübersehbar, dass die Umsetzung dieser neuen Art, zu Entscheidungen zu kommen, für die katholische Kirche und insbesondere für ihre Leitungspersonen und Gremien einen tiefgreifenden Kulturwandel erfordert, und das keineswegs nur in Rom, sondern auch in den Bischofskonferenzen, Bistümern und in den Pfarreien und kirchlichen Gemeinschaften. Die Formel «Roma locuta – causa finita» (Rom hat gesprochen und die Sache ist damit erledigt) hat ausgedient.
Ebenso klar ist, dass damit auch die Getauften herausgefordert sind: Alles von oben erwarten und klagen, dass es viel zu langsam geht, genügt nicht mehr. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen, sich auf Lernprozesse einzulassen und wahrzunehmen, wie unterschiedlich die Sichtweisen sind und dass es alles andere als einfach ist, die Frage zu beantworten, was genau (!) und ganz konkret (!) Gott von der Kirche in der jeweiligen Situation erwartet.
Zudem bleiben das Kirchenrecht und das Amtsverständnis der römisch-katholischen Kirche derzeit noch weit hinter diesem Verständnis des synodalen Entscheidens zurück: Die Spielräume der Ortskirchen sind zu eng, die gleichberechtigte Beteiligung der Frauen fehlt, einsame Entscheide von oben herab bleiben möglich, die starren Strukturen lassen dem Wirken des Heiligen Geistes in allen Getauften zu wenig Raum, Leitungsversagen kann nicht eingeklagt werden. Nicht nur in der Weltkirche, sondern auch im schweizerischen Kontext ist zudem ungeklärt und umstritten, wie weit diesbezügliche Reformen gehen sollen und was in der Zwischenzeit zu tun ist. Braucht es einen radikalen Strukturwandel? Oder genügen ein Kulturwandel und kleine Schritte? Ist es an der Zeit, mutig voranzugehen und die ausstehenden weltkirchlichen Reformen vor Ort vorwegzunehmen? Oder ist es wichtiger, Spannungen und Konflikte zu vermeiden und sich in Geduld zu üben? Sollen diese Fragen nicht zu Folge haben, dass die Kirche sich im Kreis dreht oder blockiert stehen bleibt, statt synodal «miteinander auf dem Weg» zu bleiben, braucht sie Räume synodalen Lernens. Auf weltkirchlicher Ebene ist dafür 2028 eine «Kirchenversammlung» beschlossen. Vor Ort zu beginnen, ist jedoch heute schon möglich.
- Die wichtigsten Texte des Papstes zur Synodalität der Kirche sind zugänglich in: Franziskus, Gemeinsam gehen. Die wichtigsten Texte zur Zukunft der Kirche, Freiburg i. Br. 2023.
- Papst Franziskus, XVI. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode. Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe, Sendung. Schlussdokument, zugänglich unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2025/2024-Abschlussdokument-WeltsynodeDEU-Documento_finale.pdf. (29.04.2025).
- Informationen zur Weltsynode sind in deutscher Sprache zugänglich unter: https://www.dbk.de/themen/bischofssynoden/bischofssynode-synodale-kirche-2021-2024 (30.04.2025).
- Vgl. dazu den Brief von Kardinal Mario Grech über den Prozess der Begleitung der Umsetzungsphase der Synode, zugänglich unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2025/DEU_Brief-uber-den-Prozess-der-Begleitung-der-Umsetzungsphase-der-Synode.pdf (30.04.2025).
- Vgl. zum Folgenden auch: Daniel Kosch, Das Schlussdokument der Weltsynode – eine Nach-Lese (www.feinschwarz.net [31.01.2025]), auf: https://www.feinschwarz.net/das-schlussdokument-der-weltsynode-eine-nach-lese/ (30.04.2025).
Bildnachweise: Titelbild: Wegweiser im Sonnenuntergang. Unsplash@jan_huber / Bild 1: Gruppenbild der Synode im Vatikan. Pfarrblatt Bern. / Bild 2: Aufnahme in der Beratungsaula der ersten Etappe der Weltsynode im Oktober 2023. Kathbern.ch / Bild 3: Grafik zur Synodalität von Daniel Kosch
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