Petrus: fehlbar und inspirierend

Nach dem Tod von Papst Franziskus und der Wahl seines Nachfolgers waren die «Nachfolger Petri» in aller Munde. Doch wer war dieser Petrus? Wie wird im Neuen Testament von ihm erzählt? Und gibt es tatsächlich eine Brücke von Petrus zum Papstamt?

Es besteht kein Zweifel: Petrus war eine zentrale Figur in der Nachfolgegemeinschaft Jesu. Alle vier Evangelien erwähnen ihn in vielfältigen Zusammenhängen und erzählen übereinstimmend sogar so unvorteilhafte Dinge wie die Verleugnung seines Freundes und Lehrers Jesus im entscheidenden Moment. Die Apostelgeschichte zeigt ihn als zentralen Handlungsträger im ersten Teil des Werkes und stellt ihn damit neben Paulus, dessen Wirken im Mittelpunkt des zweiten Buchteils steht. Auch Paulus erwähnt Petrus in seinen Briefen und berichtet sogar von einem handfesten Konflikt mit ihm. Zwei Briefe im Neuen Testament tragen seinen Namen, auch wenn sie erst lange nach seinem Tod verfasst wurden. Und schliesslich gibt es schon in frühen nachneutestamentlichen Schriften vielfältige Petrustraditionen.

Eine herausragende Figur in der Jesusgemeinschaft

Dies alles ergibt ein Bild von Petrus als herausragender Figur in der Jesusgemeinschaft. Eigentlich hiess er Simon, erhielt aber von Jesus den aramäischen Beinamen Kephas (d. h. Edelstein, runder Stein oder Brocken), der ins Griechische als Petros (Stein) und ins Lateinische als Petrus übertragen wurde. Nach dem Johannesevangelium (1,44) stammt er aus Betsaida, während die anderen Evangelien ihn eher mit Kafarnaum in Verbindung bringen. Sein Vater hiess entweder Johannes (Johannesevangelium 1,42) oder Jona (Matthäusevangelium 16,17), sein Bruder Andreas. Beide waren Fischer am See Gennesaret, bevor sie sich der Jesusbewegung anschlossen. Petrus war verheiratet, wie es damals üblich war. Das zeigt nicht nur die Erzählung von der Heilung seiner Schwiegermutter, sondern auch eine Bemerkung des Paulus, dass Petrus – anders als Paulus – auf seinen Verkündigungsreisen mit seiner Frau unterwegs war.

Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus, aus dem Codex Egberti, 10. Jh. n. Chr.

Er war ein Mitglied des Zwölferkreises, mit dem Jesus anschaulich vor Augen führte, dass Gott nun dabei war, Israel als Zwölfstämmevolk zu sammeln. Immer wieder tritt Petrus in den Evangelien als Sprecher der Jüngergruppe auf, aber auch als einer, der lernen muss und sogar versagt und schliesslich angesichts des gewaltsamen Schicksals Jesu aus Jerusalem flieht.

Es sind wohl Erfahrungen nach Ostern, die ihn zur Gewissheit brachten, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hatte. So kam er zurück nach Jerusalem. Die Apostelgeschichte zeigt ihn, wie er die Leitung der Urgemeinde mit anderen teilt, unerschrocken die Jesusbotschaft verkündet und bald auch den zukunftsträchtigen Schritt hin zur Öffnung der Jesusgemeinschaft für Menschen nichtjüdischer Herkunft macht. Verkündigungsreisen führen ihn mit seiner Frau nach Antiochia in Syrien, vielleicht nach Korinth und vermutlich auch nach Rom.

Über den Tod des Petrus überliefert das Neue Testament nichts Greifbares. Lediglich das Johannesevangelium deutet an, dass er eines gewaltsamen Todes gestorben ist (Johannesevangelium 21,18-19). Vermutlich erlitt er irgendwann in den Jahren 64–67 unter Kaiser Nero in Rom den Märtyrertod. Darauf lassen Traditionen und Legenden schliessen, die bald nach der Zeit des Neuen Testaments entstanden sind.

Eine exemplarische Jüngerfigur in den Evangelien

Weil Petrus eine so zentrale Gestalt war, erzählen die Evangelien nicht einfach nur die Geschichte des «historischen» Jesusjüngers, sondern veranschaulichen anhand seiner Figur grundlegende Fragen eines Lebens in der Nachfolge Jesu: Verstehen lernen, wer Jesus wirklich ist, Glaubenszweifel haben, angesichts des Leidens und des Kreuzes versagen, mit dem eigenen Versagen umgehen lernen – zahlreiche Themen werden von den Evangelien anhand der Petrusfigur durchgespielt. Wie in diesen Geschichten von Petrus erzählt wird, hat dabei mehr mit den Sorgen und Fragen der jeweiligen Gemeinde zu tun als mit dem «historischen» Petrus.

Statue von Petrus im Vatikan. Im Hintergrund u.a. Jesus mit dem Kreuz

Verstehen lernen, wer Jesus ist

Ein großes Thema im Markusevangelium ist die Frage, wie Jesus richtig zu verstehen ist. Von Anfang an werden die Jünger:innen gezeigt, wie sie Wesentliches noch nicht verstanden haben. In der Mitte des Evangeliums, zu Beginn des Weges Jesu von Galiläa nach Jerusalem, spricht nun Petrus – endlich! möchte man sagen – ein wichtiges Bekenntnis: «Du bist der Messias!» (Markusevangelium 8,29). Doch zeigt die Fortsetzung, dass er erst noch lernen muss, dass Jesus ein Messias ist, der ins Leiden und in den Tod geht. Weil Petrus dies zunächst nicht akzeptieren will, muss er sich von Jesus eine harsche Schelte anhören:

«Weg mit dir, Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.» (Markusevangelium 8,33)

Das sind harte Worte. Doch sie zeigen, wie schwer es wohl für alle Glaubenden ist, den Weg Jesu richtig zu verstehen, Leid und Tod nicht zu verdrängen und gerade im Gekreuzigten den Messias und Gottessohn zu erkennen.

Ein «Kleingläubiger» – und ein Fels

Ähnlich exemplarisch führt das Matthäusevangelium Glaubensnöte aller Jesusnachfolger:innen vor Augen, wenn es Petrus zunächst über das Wasser gehen lässt, ihn aber dann das Vertrauen verlieren und in den Fluten versinken lässt (Matthäusevangelium 14,22-33). Wie Petrus trotz seines Kleinglaubens von Jesus gerettet und getragen wird, so dürfen sich auch andere «Kleingläubige» in ihrer Angst von Jesus getragen wissen.

Grosse Bedeutung für die spätere Rezeption der Petrusfigur hat das «Felsenwort» im Matthäusevangelium 16,15–19 erlangt. In einem Wortspiel, das nur im Griechischen funktioniert, wird petros (der «Stein») zu petra (der «Fels»), auf den Jesus seine Gemeinde bauen will. Petrus als zuerst gelegter Fundamentstein ist zugleich Verschlussstein gegenüber dem Totenreich. Ihm werden die «Schlüssel des Himmelreichs» übergeben und Vollmacht zum «Binden und Lösen», das heisst: zur vollmächtigen Toraauslegung und Verkündigung zugesprochen. Mit seiner Verkündigung soll er also gute Lebenswege und Perspektiven ermöglichen, das Himmelreich öffnen und nicht verschließen. Gleichzeitig werden diese Vollmachten im Matthäusevangelium aber auch wieder relativiert. Denn das Bekenntnis, das Petrus in diesem Zusammenhang spricht, hatten zwei Kapitel zuvor alle Jünger:innen gesprochen (Matthäusevangelium 14,33). Und die Vollmacht zum Binden und Lösen werden zwei Kapitel später allen Jünger:innen zugesprochen (Matthäusevangelium 18,18). Petrus ist damit eine apostolische Grundgestalt, wird aber gleichzeitig in die Reihen aller Jünger.innen eingeordnet.

Jesus übergibt den Schlüssel an Petrus, Fresko in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan von Pietro Perugino, zw. 1481 und 1482 n. Chr.

Integrationsfigur und Grenzüberschreiter

Die Apostelgeschichte zeigt Petrus einerseits als Integrationsfigur der Urgemeinde. Andererseits ist er derjenige, der mit seiner Grenzen überschreitenden Evangeliumsverkündigung an Menschen nichtjüdischer Herkunft entscheidende Weichen für den weiteren Weg der Kirche stellt. Ihm gelingt es gleichzeitig, diesen Schritt in Jerusalem gegenüber denjenigen, die dies kritisch sehen, überzeugend zu verteidigen. Sein letzter Auftritt in der Apostelgeschichte ist bei der grossen Versammlung in Jerusalem, bei der er sich auf die Seite des Paulus und Barnabas stellt und ihren Weg, Menschen nichtjüdischer Herkunft in die Gemeinden aufzunehmen und von ihnen weder Beschneidung noch Speisegebote zu verlangen, unterstützt (Apostelgeschichte 15). Die Entscheidung fällt allerdings Jakobus, der Bruder Jesu, der Petrus in der Leitung der Jerusalemer Gemeinde ablöst. Petrus kann die Verantwortung nun abgeben.

Ein fehlbarer Hirte, der lieben muss

Das Johannesevangelium stellt Petrus eine weitere Jüngerfigur an die Seite: den «Jünger, den Jesus liebte». So entsteht ein spannungsvolles Doppel, in dem Petrus zumeist auf den Geliebten Jünger angewiesen ist, der ihm immer wieder im Erkennen und Verstehen einen Schritt voraus ist. Am Schluss des Buches wird Petrus vom Auferstandenen selbst mit dem Hirtenamt beauftragt. Allerdings muss er dreimal versichern, dass er Jesus liebt. Das dreimalige Fragen nach der Liebe bezieht sich auf das dreimalige Versagen des Petrus im Hof des Hohenpriesters zurück. Dass Petrus dies versteht, zeigt sich darin, dass er angesichts des dreimaligen Fragens traurig wird (Johannesevangelium 21,15-17).

Es zeigt sich: Ihm wird die Leitungsfunktion übertragen, doch im Bewusstsein seiner Fehlbarkeit, und verbunden mit der Forderung zu lieben. Im Gegenüber zum Auferstandenen ist damit vor allem der Aspekt des Gehorsams verbunden, so wie es Jesus in seinen Abschiedsreden gesagt hatte: «Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.» (Johannesevangelium 14,15) Um das Wort und den Willen Jesu richtig zu erkennen, ist er auf das Zeugnis des Geliebten Jüngers verwiesen.

Der erste Papst?

War Petrus also der erste Papst? Sicher nicht. Wann und wie lange Petrus in Rom war, ist aufgrund der mangelhaften Quellenlage kaum zu sagen. Er war auch nicht «Bischof» von Rom, denn ein solches Amt gab es zu seinen Lebzeiten noch nicht. Die römische Gemeinde wurde noch am Ende des ersten Jahrhunderts von einem Kollektiv, einem Presbyterium, geleitet. Historisch nachweisbar sind Bischöfe von Rom erst seit dem ausgehenden zweiten Jahrhundert. Bis zum Papstamt, wie wir es heute kennen, war es dann noch ein sehr weiter Weg.

Der neue Papst Leo XIV bei einer Pressekonferenz

Dennoch: Anhand der Petrusfigur, wie die Evangelien sie zeichnen, können nicht nur alle glaubenden Menschen, sondern gerade Menschen in kirchlichen Führungspositionen einiges lernen. Grenzenlose Begeisterung für die Botschaft Jesu. Lernfähigkeit, auch wenn die Lernprozesse schmerzhaft sind. Vermittlungsfähigkeit zwischen scheinbar unversöhnlichen Positionen. Mut, neue Wege zu gehen und diese gegenüber den Ängstlichen und Bewahrern und Bremsern zu verteidigen. Bereitschaft, das eigene Versagen anzuerkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Ein Leitungsamt in einer liebenden Grundhaltung und im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit ausüben. Und immer wieder: die selbstkritische Rückbindung an die Botschaft Jesu.

Auch wenn Petrus nicht der erste Papst war: So wenig ist es nicht, was er denen, die sich in seine Nachfolge stellen, mitgeben kann.1

  1. Bildnachweise: Titelbild: Kaiser Konstantin und die Bischöfe des Konzils von Nizäa (325) halten den aufgerollten Text des Nicäno-Konstantinopolitanum (grosses Glaubensbekenntnis, das als Credo in der Liturgie verwendet wird) anachronistisch in der Fassung, wie es auf dem zweiten Ökumenischen Konzil in Konstantinopel (381) umformuliert wurde. Wikimedia Commons / Bild 1: Heilung der Schwiegermutter des Simon Petrus, aus dem Codex Egberti, fol. 22v, 10. Jh. n. Chr. Wikimedia Commons / Bild 2: Statue von Petrus im Vatikan. Im Hintergrund Jesus mit dem Kreuz neben anderen Statuen. Unsplash@iam_os / Bild 3: Jesus übergibt den Schlüssel an Petrus, Fresko in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan von Pietro Perugino, zw. 1481 und 1482 n. Chr. Wikimedia Commons / Bild 4: Der neue Papst Leo XIV bei einer Pressekonferenz am 12. Mai 2025. Wikimedia Commons/Edgar Beltrán

Epische Bibelserie: «House of David»

Die neue biblische Dramaserie «House of David» von Amazon Prime Video stellt das Leben des legendären Königs David in den Mittelpunkt. Die achtteilige erste Staffel erzählt von den Anfängen des Hirtenjungen David bis zum Kampf mit Goliath – ein spannendes Seherlebnis für Gläubige und Fans von Historiendramen. Die Dramaserie spielt…

Weiterlesen

«Credo» – ich glaube

Wenn eine Firma kommunizieren will, was sie auszeichnet, was ihre Grundlagen, Werte und Ziele sind, dann formuliert sie ein «Credo». Die christlichen Kirchen haben ein gemeinsames «Credo». Es entstand vor 1700 Jahren und formuliert den Kern dessen, was Christ:innen glauben. Das christliche «Credo» ist allerdings mehr als ein schriftliches Dokument…

Weiterlesen

Viermal Karfreitag: Die Passion Jesu und die Jesusbilder in den Evangelien

Die Passionserzählungen sind jene Texte aus dem Neuen Testament, die von der Verhaftung, dem Prozess und der Kreuzigung Jesu erzählen. Sie sind zum Kulturgut der Menschheit geworden, weit über persönliche Religiosität hinaus. Bachs Matthäus- oder Johannespassion und ungezählte künstlerische Darstellungen haben viele Szenen tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Das Bild…

Weiterlesen

Kosmischer Christus – Body of God

Es ist ein altes biblisches Bild, das etwas in Vergessenheit geriet. Das Lied vom kosmischen Christus aus dem 1. Jahrhundert betont Gottes Präsenz im weiten Raum der Schöpfung und spricht vom All als Körper bzw. Leib Christi. Im Kontext der gegenwärtigen ökologischen Krise stellt sich die Frage, ob das Bild…

Weiterlesen

Kommentare

Noch kein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert