Die «Zehn Gebote» werden in der Bibel nirgends so genannt – und sie wurden auch nicht zur «Domestizierung» von Kindern geschrieben. Doch was ist ihr Sinn und Geist? Wie sollen sie verstanden werden?
Dem Sinn der «Zehn Worte», wie sie in der Bibel genannt werden, kann mit der Frage auf die Spur gekommen werden: Welches ist das erste dieser Gebote? In der Bibel selbst gibt es keine Nummerierung der einzelnen Gebote. Die christlichen Traditionen sehen in der Anbetung des einen Gottes (Fremdgötterverbot) das erste Gebot: «Du sollst keine anderen Götter neben mir haben» (Exodus 20,3 bzw. Deuteronomium 5,7).
Die jüdische Tradition kennt jedoch die Sichtweise, dass die Präambel (Einleitung) das erste und wichtigste Gebot ist:
«Ich bin Gott, dein Gott,
der ich dich herausgeführt habe aus dem Land Ägypten,
aus dem Sklavenhaus.» (Exodus 20,2 // Deuteronomium 5,6)
Diese Präambel als erstes Gebot zu sehen, hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis des ganzen Dekalogs (griechisch für «Zehn Worte»): Denn damit wird betont, dass der Dekalog und die nachfolgenden Gesetze von dem Gott der Befreiung kommen.
Die Befreiungsgeschichte aus der Sklaverei in Ägypten bildet den Background für die Zehn Worte (vgl. Exodus 1–16).
Bewahrung der Freiheit
Der Dekalog und die weiteren Gebote der Torah wollen die errungene und geschenkte Freiheit bewahren.
Christlicherseits wurde diese Erkenntnis erst in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt. Jüdischerseits wurde dieser Sinn und Geist der Zehn Worte schon in der Mischnah (ca. 2. Jh. n. Chr.) formuliert:
«Die Tafeln waren ein Werk Gottes, und die Schrift – eine Schrift Gottes war sie, gegraben (hebr. charut) auf die Tafeln (Ex 32,16). Lies nicht charut(gegraben), sondern cherut(Freiheit), denn du findest keinen wahrhaft Freien als den, der sich mit dem Erlernen der Torah befasst.» (Mischnah, Abot 6,2)
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