Plädoyer: Religionen für den Frieden!

In den letzten 20 bis 30 Jahren hat der Nationalismus auf politischer Ebene weltweit wieder zugenommen. Ebenso im religiösen Bereich der Fundamentalismus und der gewalttägige Fanatismus. Dagegen gilt es zu betonen: Jede Religion, jeder religiöse Mensch, muss sich für Frieden, Dialog und Versöhnung engagieren. Alles andere ist ein Missbrauch von Religion.

Gewalttätigkeit ist keine Besonderheit von religiösen Menschen: Nichtreligiöse Menschen, Gesellschaften und Staaten sind genauso gewalttätig. Es wäre verfehlt zu meinen: «Wir müssen nur die Religionen abschaffen, dann hätten wir keine Kriege mehr.» Ebenso könnte man sagen: «Wir müssen nur die Staaten, die Politik oder die Wirtschaft abschaffen, dann hätten wir keine Kriege mehr.»

Es sind nicht «die Religion», «der Staat», «die Politik» oder «die Wirtschaft», die gewalttätig sind, es sind konkrete Menschen, die gewalttätig sind, und die gewalttätige Strukturen schaffen: Irgendetwas im Menschen selbst – vielleicht aufgrund des ganzen Evolutionsprozesses – bricht immer wieder als Gewalttätigkeit hervor.

Alle Menschen – ob religiös oder nichtreligiös – sind dazu aufgerufen, sich auf das zu besinnen, was Gewalttätigkeiten und Kriege verhindert und was Verständigung und Frieden fördert. Religiöse Menschen müssen dabei jene Texte und Traditionen betonen, welche dem Frieden dienen, und ihnen gemäss leben.1

Muttergottheiten – Raubtiergötter

Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass im Namen aller Religionen in ihrer konkreten Geschichte auch Gewalttätigkeiten ausgeübt wurden und heute noch werden und dass in ihren Texten und Traditionen vieles enthalten ist, was Gewalttätigkeit fördern kann.2 Nach einer verbreiteten These liegen die Gründe dafür weit zurück in der Menschheitsgeschichte, die immer auch ein Kampf ums Überleben war: Die ersten Lebensjahre sind äusserst prägend für die Entwicklung und Persönlichkeit eines Menschen. Nun ist der Mensch eine biologische Frühgeburt und in den ersten Lebensjahren völlig von der Fürsorge anderer abhängig. Von der Mutter wird ein Kind geboren und ernährt, im Verbund mit den Vätern sowie der Sippe gekleidet und vor der lebensbedrohlichen Umwelt geschützt und damit vor dem Tod bewahrt. Daher verwundert es nicht, dass in allen bekannten alten Religionen Muttergottheiten verehrt wurden: Muttergottheiten stehen für das Lebenspendende, Fürsorgliche, Beschützende und Bewahrende.3

Sitzende Frau von Çatalhöyük (6. Jt. v. Chr.), oft interpretiert als Muttergöttin. Heute im „Museum für anatolische Zivilisationen“, Ankara, Türkei.

Das menschliche Leben war nicht durch Hunger, Durst, Kälte und Umweltkatastrophen gefährdet, sondern auch durch Raubtiere. Sie stellten die stärksten, mächtigsten Lebewesen dar und wurden vom Menschen ebenso gefürchtet wie bewundert. In den unterschiedlichsten Kulturen wurden daher die stärksten Tiere als Gottheiten verehrt: Bären, Wölfe (vgl. die Sagenwelt Roms mit Romulus und Remus und der Wölfin lupa martia, die sie ernährt haben soll), Tiger, Löwen, Haie usw. Damit kamen, so die These, das Gewaltige, Kämpferische und Gewalttätige seit der frühesten Menschheitsgeschichte in die Gottesbilder und wurden in den Opferriten, besonders der blutigen Tieropfer, in gewisser Weise sakralisiert.4

Friedenstexte

Gerade weil das Kämpferische und Gewalttätige seit Jahrhundertausenden zur Geschichte des Menschen gehört und daher auch in seinen archaischen Riten und Religionen vorhanden ist, ist es etwas Besonderes, dass im Zeitraum von etwa 800-200 v. Chr. weltweit Gegenbewegungen entstanden, welche die Gewalttätigkeit des Menschen überwinden wollten: In Indien und Persien (Parshva, Jain, Buddha, Zarathustra), in China (Konfuzius, Laotse), in Griechenland (das Höchste Eine und Gute) und in Israel (alle Menschen als Gottes Ebenbilder und Entwickeln von gewaltfreien Gottesbildern). Der Philosoph und Psychiater Karl Jaspers (1883-1969) sieht in der vom ihm als «Achsenzeit» bezeichneten Geschichtsperiode den tiefsten Einschnitt in der Menschheitsgeschichte: In ihr «wurden die Grundkategorien hervorgebracht, in denen wir bis heute denken, und es wurden die Ansätze der Weltreligionen geschaffen, aus denen die Menschen bis heute leben»5.

Einige religiöse Friedenstexte, die der Überwindung von Gewalttätigkeit beziehungsweise der Überwindung der Spirale von Gewalt und Gegengewalt dienen, seien hier exemplarisch genannt. Wenn ich hier auch auf andere Religionen als meine eigene christliche eingehe, so geschieht dies mit grösstem Respekt und in Bescheidenheit: Selbstverständlich ist es an den Angehörigen der anderen Religionen, diese in ihrer Bedeutung darzustellen. Dennoch ist es meiner Meinung nach wichtig, sich selber mit anderen Religionen zu beschäftigen, sie zu verstehen suchen, von ihnen zu lernen und sie zu würdigen. In diesem Sinne verstehe ich die folgenden Hinweise auf Friedenstexte und -traditionen anderer Religionen.

Nächstenliebe

In der jüdischen Tora ist das biblische Grundgebot genannt: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» (Levitikus 19,18). Nächstenliebe wird spezifisch auch für besonders Schutzbedürftige gefordert: «Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst» (Levitikus 19,34).

Liebe deine:n Nächste:n wie dich selbst

Das Gebot der Nächstenliebe wird bekanntlich durch Jesus von Nazaret aufgenommen, und zusammen mit der Liebe zu Gott als höchstes Gebot bezeichnet (Markusevangelium 12,28-34). Zudem hat Jesus Gewaltlosigkeit und Feindesliebe gelehrt, um die Spirale der Gewalt zu überwinden: «Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen» (Matthäusevangelium 5,44). Und er hat dies gelebt, selbst bei seiner Ermordung am Kreuz, indem Jesus gemäss dem Lukasevangelium für seine Mörder betet: «Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun» (Lukasevangelium 23,34).

Ahimsa – Gewaltlosigkeit

In der hinduistischen Religion dienen, soweit ich sehe, besonders zwei Prinzipien dem Frieden: Neben Ksama, was Nachsicht und Vergebung bedeutet, ist es in besonderem Masse Ahimsa, das Prinzip des Nichtverletzens, Nichttötens. Dieses ist bereits in den Veden (entstanden ab 1500 v. Chr.) und den Upanishaden (entstanden ab 700 v. Chr.) formuliert. Während in den Veden beispielsweise dennoch viele Tieropfer für die Götter beschrieben werden und der Brahmane in den Ursprüngen ein Opferpriester war,6 entstand ab ca. 800 v. Chr. ein geistiger Aufbruch, der einen andern Weg einschlug und in den Upanishaden beschrieben wird: Angehörige der Kriegerkaste, Königs- und Fürstensöhne werden zu bedürfnislosen, bettelnden Wanderasketen. Parshvanata (Parshva) ist der erste namentlich bekannte Fürstensohn, der diesen Weg im 8. Jh. v. Chr. einschlug. Ahimsa wird dabei als ethisches Prinzip zentral: völlige Gewaltlosigkeit gegenüber Menschen und Tieren. Ahimsa fordert also das genaue Gegenteil von dem, was auf der Jagd und im Krieg oder auch beim Tieropferkult getan wird: Nicht-Verletzen, Nicht-Töten. Begründet wird diese ethische Forderung in hinduistischen Texten meist mit der Einheit aller Lebewesen.

Wider die Gewaltspirale

Auch für Buddha (Geburtsname: Siddhartha Gautama, wohl ca. 563-483 v. Chr.) bekommt die Forderung nach Ahimsa / Gewaltlosigkeit eine zentrale Bedeutung. Er beschränkt Ahimsa zudem nicht auf das Nicht-Tun (Nichtverletzen, Nichttöten), sondern weitet es aus auf das positive Wohlwollen gegenüber allen lebenden Wesen, das Mitleid, Mitgefühl sowie Mitfreude umfasst. Buddha wendet sich in verschiedenen Lehrerzählung und Sprüchen zudem gegen die Spirale der Gewalt. Beispielsweise in den Worten eines sterbenden Vaters, die er bei seiner Ermordung an seinen Sohn richtet, um diesen von Rachegedanken abzuhalten:

«Er schmähte mich, er schlug mich, er besiegte mich mit Gewalt:
Wer so denkt, der wird die Feindschaft nicht besiegen.
Er schmähte mich, er schlug mich, er besiegte mich mit Gewalt:
Wer so nicht denkt, der wird Feindschaft besiegen.
Denn Feindschaft kommt durch Feindschaft zustande;
durch Freundschaft kommt sie zur Ruhe;
dies ist ein ewiges Gesetz.» (Dhammapada, Verse 3-5)

«Besiege (erobere) Zorn durch Liebe.
Besiege Böses durch Gutes.
Besiege Anhaftendes (am Eigenen Festhaltendes) durch Geben.
Besiege den Lügner durch die Wahrheit.» (Dhammapada, Vers 223)

Friedensspaziergang von Kindermönchen im buddhistischen Tempel Wat Trai Sirimongkhon, Bezirk Nong Bun Mak, Provinz Nakhon Ratchasima, Nordostthailand.

Dies ist nichts anderes als gelebte Feindesliebe, welche die Spirale der Gewalt durchbrechen will. Etwas, das auch in der Torah und im Sprüchebuch verlangt wird, wenn es da heisst:

«Wenn du das Rind deines Feindes oder seinen Esel umherirrend antriffst, sollst du sie ihm auf jeden Fall zurückbringen.» (Exodusbuch 23,4)

«Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken; so sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt und GOTT wird es dir vergelten.» (Sprüchebuch 25,21f)

Feindesliebe wurde von Jesus mit ganz ähnlichen Worten wie zuvor schon von Buddha gelehrt:

«27 Euch aber, die ihr zuhört, sage ich:
Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen!
28 Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!
29 Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem,
der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!
30 Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt,
verlang es nicht zurück!
31 Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!».
(Lukasevangelium 7,27-31; vgl. Matthäusevangelium 5,44-48; auch Römerbrief 12,14-21)

Leben retten

In den letzten Jahrzehnten ist aufgrund verschiedener Kriege zwischen muslimisch geprägten Staaten und westlichen, mehr oder weniger christlich geprägten Staaten sowie durch Terroranschläge von Leuten, die sich auf den Islam/den Dschihad beriefen, der Islam häufig pauschal als gewaltbesetzt beschrieben worden. Insofern ich das überhaupt beurteilen kann, so ist meiner Meinung nach die überwiegend grosse Mehrheit der Menschen muslimischen Glaubens ebenso sehr für den Dialog und den Frieden, wie es anders religiöse oder nichtreligiöse Menschen sind.

In einer jüngst erschienenen Studie zum Dschihad hebt Mohammed Abualwafa unter anderem Folgendes hervor:7 Aus historischer Perspektive habe Muhammad selbst über weite Strecken zu einer gewaltfreien Konfliktbewältigung aufgerufen.8 Den Gebrauch von Waffen habe Mohammed nur im Verteidigungsfall gestattet und sich im Zweifelsfall eindeutig eher für das Aushandeln von Friedensverträgen entschieden. Zweitens werde im Koran der Dschihad-Begriff in 133 Versen für ethisch-moralischen Anstrengungen für das Gute (grosser Dschihad) verwendet, also für das Bemühen um Barmherzigkeit, Sittlichkeit, Frieden und soziale Gerechtigkeit. In lediglich sechs Versen rufe Dschihad zur bewaffneten Abwehr eines Angriffs oder zur Befreiung aus Fremdherrschaft auf.9

Papst Franziskus mit dem Großmufti von Istanbul, Rahmi Yaran, in der Sultan-Ahmed-Moschee / Blaue Moschee in Istanbul.

Es ist zu hoffen, dass solche Stimmen im Islam mehr und mehr zunehmen, welche sich für den Dialog mit anderen Religionen und den Frieden mit ihnen engagieren, indem sie betonen, dass der Islam zentral auf Barmherzigkeit und Frieden ausgerichtet ist,10 ebenso wie die Stimmen im Islam zunehmen sollen, welche sich für Frauenrechte einsetzen.11

Der Koran eine Sure, welche das allermeiste Gewicht bekommen sollte: Es wird dabei eine Aussage des jüdischen Talmuds (Sanhedrin, 23a-b) aufgenommen, welche den Sinn des menschlichen Lebens im Bewahren eben dieses Lebens bestimmt:

«Wer einen Menschen tötet, für den soll es sein,
als habe er die ganze Menschheit getötet.
Und wer einen Menschen rettet, für den soll es sein,
als habe er die ganze Welt gerettet» (Sure 5,32).

Wende zum Guten

Ist es naiv anzunehmen, dass Gewaltlosigkeit und Friedfertigkeit stärker sind als Gewalt und Hass? Und dass Feindesliebe gewalttätige Menschen zum Besseren bewegen kann? – Vielleicht. – Und dennoch gibt es historische Beispiele, in denen genau solche Überzeugungen zu einer unerhörten Wende zum Guten führten: Zu Menschenrechten, Befreiung aus diktatorischer Unterdrückung und vielem mehr.

Namen wie Mohandas Gandhi, Martin Luther King, Máiread Maguire, Betty Williams und Ciaran McKeown stehen für solche gewaltlosen Wenden zum Guten. Im Hintergrund dieser Namen sind jedoch Tausende andere Menschen, welche die Überzeugungen teilten und sich ebenfalls für Menschenreche, Freiheit und Frieden engagierten. Gandhis Weg kann hier die Bedeutung von Ahisma sowie die Unterstützung Tausender verdeutlichen.

Mohandas (Mahatma) Gandhi

In der Neuzeit wurde Ahimsa herausragend gelebt durch Mohandas (Mahatma) Gandhi (1869-1948), der durch sein enormes, gewaltloses Engagement die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft erreichte. Gandhi sah in der Bergpredigt Jesu mit der Forderung nach Gewaltverzicht und Feindesliebe die Bestätigung des hinduistischen Ahimsa: «In seiner positiven Form bedeutet Ahimsa die umfassendste Liebe, die grösste Wohltätigkeit. Wenn ich Ahimsa befolge, muss ich meinen Feind oder einen Fremden so lieben, wie ich meinen falsch handelnden Vater oder Sohn lieben würde. Dieses aktive Nichtverletzen schliesst notwendig Wahrheit und Furchtlosigkeit ein.»12

Für Gandhi bedeutete dies jedoch kein blosses passives Hinnehmen von Unrecht und Leid: «Im Gegenteil, die Liebe als aktive Qualität von Ahimsa verlangt, dem Übeltäter zu widerstehen, indem man sich von ihm lossagt, mag es ihn auch beleidigen oder seelisch oder körperlich treffen.»13 Der «Salzmarsch» von 1930, bei dem Gandhi anfänglich mit 78 Gefährten fast 400 Kilometer zum Meer wanderte, um dort selbst Salz zu gewinnen und sich damit gegen die überhöhten Salzsteuern der Besatzungsmacht zu wehren, ist die bekannteste Aktion, die eine gewaltfreie Volksprotestbewegung auslöste. Gegen 50’000 Inder wurden von der Polizei wie zuvor Gandhi verhaftet, 2’500 wurden ohne ihre Gegenwehr brutal zusammengeschlagen. Das führte zu landesweiten Protesten gegen die Polizeigewalt und die Unterdrückung.

Ghandis Salzmarsch

Gandhi erreichte mit seinem Weg im August 1947 die Befreiung Indiens aus der britischen Kolonialherrschaft. Aus den mehrheitlich muslimisch bevölkerten Teilen der Kolonialherrschaft entstand Pakistan, aus den hinduistisch bevölkerten Gebiet Indien.

Gandhi setzte sich für Verständigung zwischen Hindus und Muslimen ein. Für dieses sein friedensförderndes Handeln bezahlte er mit seinem Leben: Am 30. Januar 1948 wurde Gandhi vom Hindu-Nationalisten Nathuram Godse ermordet. Godse sah Gewalt gegen Andersgläubige, die er als Feinde betrachtete, als religiöse Pflicht an und wollte Gandhis Verständigungskurs zwischen Hindus und Muslimen nach der Gründung Pakistans durch den Mord beenden. Politischer Nationalismus und religiöse Fundamentalismus nahmen in den letzten Jahren leider auch in Indien zu: Von nationalistisch-hinduistischen Kreisen in Indien wird eine Rehabilitierung Godes vorangetrieben. Dass Indien und Pakistan Atomwaffenmächte sind, macht dies alles noch bedrohlicher.

Aufforderung zum Frieden

Religiöse Menschen können, sollen und müssen sich für den Frieden einsetzen – sonst verliert ihre Religiosität jede Glaubwürdigkeit und Legitimation. Es liegt an allen Einzelnen ebenso wie an den religiösen Verantwortungsträgern und den Gemeinschaften als Ganzes, sich mit klaren Worten und mutigen Taten für den Frieden einzusetzen.

Es gilt, sich auf das Beste in den religiösen Texten und Traditionen zu besinnen, auf das, was allen gemeinsam ist an ethischen Prinzipien,14 auf das, was den Frieden fördert, bewahrt und schützt.

Für die Staatengemeinschaft und die Menschheit in der globalisierten Welt ist die Förderung des nachhaltigen Friedens eine ebenso riesige, wie dringende, komplexe und ständige Aufgabe.

Für den einzelnen Menschen kann die Ethik der Friedfertigkeit ganz einfach mit der Goldenen Regel ausgesagt werden, die in den verschiedensten Religionen und Kulturen formuliert wurde und die in der Empathie, dem Mitgefühl gegenüber anderen gründet, in dem also, was Menschlichkeit, Humanität ermöglicht.

Die „Path to Peace Wall“ („Weg zum Frieden Mauer“) in Moshav Netiv HaAsara, Israel, an einer Sicherheitsmauer zum Gazastreifen. Auf den Mosaiksteinen stehen Wünsche der Besucher:innen.

Die goldene Regel

«Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.»
Konfuzius, Gespräche 15,23 (Jen)

«Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.»
Mahabharata XIII, 113,8 (hinduistisch)

«Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; Und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten?»
Samyutta-Nikaya V, 353.35-354.2 (buddhistisch)

«Tut anderen Menschen nicht an, worüber ihr empört wäret, wenn ihr es selbst erfahren müsstet.»
Isokrates: Rede des Nikokles an die Zyprioten. 3,61 (griechisch)

«Tu nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.»
Rabbi Hillel, Sabbat 31a (jüdisch)

«Alles was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.»
Matthäusevangelium 7,12; Lukasevangelium 6,31 (christlich)

«Keiner von Euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht.»
40 Hadithe (Sprüche Muhammads, muslimisch)

Die goldene Regel ist so klar wie einfach. Sie lebt davon, dass wir auf das Gute in jedem Menschen vertrauen – und dieses Vertrauen haben wir auch in unserer Zeit unbedingt nötig.15

  1. Das positive Friedenspotential von Religionen wird anhand von sechs konkreten politischen Gewaltkonflikten untersucht und anhand weiterer 35 Gewaltkonflikten dargestellt von Markus A. Weingardt: Religion macht Frieden. Das Friedenspotential von Religionen in politischen Gewaltkonflikten, Stuttgart 2007.
  2. Für einen kleinen Überblick vgl. Georg Baudler: Gewalt in den Weltreligionen, Darmstadt 2005, mit weiterführenden Literaturhinweisen.
  3. Für den Alten Orient vgl. Christl M. Maier: Muttergöttin, auf: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/28225/ (29.10.2023).
  4. Auf René Girards mimetische Theorie kann in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden, vgl. René Girard: Das Heilige und die Gewalt, Zürich 1987.
  5. Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1949, S. 20.
  6. Vgl. Silke Bechler: Das vedische Opfer in einer neuen Öffentlichkeit in Indien und in Europa, Heidelberg 2013, online: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/17142/1/Bechler_Endversion%20Diss_Gesamt.pdf (28.10.2023).
  7. Mohammed Abualwafa: Der Koran und seine Bedeutungsebenen für das Hier und Jetzt. Zeitgemäße theologisch-didaktische Annäherungen am Beispiel des Begriffs Dschihad, Wiesbaden 2020 (Diss.).
  8. Mohammed Abualwafa: Der Koran, 179ff.
  9. Mohammed Abualwafa: Der Koran, 313.
  10. So beispielsweise Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit: Grundzüge einer modernen Religion, Freiburg i. Br. 2012.
  11. So das grosse Engagement von Elham Manea: Ich will nicht mehr schweigen, Freiburg i. Br. 2009; dies.: Frauen und die Scharia: Die Auswirkungen des Rechtspluralismus in Großbritannien. Wenn Religionsrecht mit Zivilrecht kollidiert. Mit einem Ausblick auf Deutschland, Österreich und die Schweiz, Stuttgart 2022; dies.: Der alltägliche Islamismus: Terror beginnt, wo wir ihn zulassen, München 2018.
  12. Zit. nach Jeremy Holton: Gandhi’s Interpretation of the Sermon of the Mount, in: Michael Lieb u.a. (Hrsg.): The Oxford Handbook to the Reception History of the Bible, Oxford 2011, S. 553.
  13. Zit. in Wilhelm Emil Mühlmann: Mahatma Gandhi: der Mann, sein Werk und seine Wirkung, Tübingen 1950, S. 104.
  14. Vgl. Hans Küng: Projekt Weltethos, München 1990; Stiftung Weltethos: https://www.weltethos.org (28.10.2023).
  15. Gute Argumente für dieses Vertrauen bietet etwa Rutger Bregman: Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit, Hamburg 2021.

     

    Bildnachweise: Titelbild: Mahatma Gandhi (Bildmitte) während des Salzmarsches 1930. Wikimedia Commons. / Bild 1: Sitzende Frau von Çatalhöyük (6. Jt. v. Chr.), oft interpretiert als Muttergöttin. Heute im „Museum für anatolische Zivilisationen“, Ankara, Türkei. Wikimedia commons@Nevit Dilmen / Bild 2: Eine Frau hält ein Schild hoch: „Love your neighbor as yourself“. Unsplash@kyleclevelandphoto / Bild 3: Friedensspaziergang von Kindermönchen im buddhistischen Tempel Wat Trai Sirimongkhon, Bezirk Nong Bun Mak, Provinz Nakhon Ratchasima, Nordostthailand. Wikimedia Commons@Donavanik / Bild 4: Papst Franziskus mit dem Großmufti von Istanbul, Rahmi Yaran, in der Sultan-Ahmed-Moschee / Blaue Moschee in Istanbul. KNA. / Bild 5: Die „Path to Peace Wall“ („Weg zum Frieden Mauer“) in Moshav Netiv HaAsara, Israel, an einer Sicherheitsmauer zum Gazastreifen. Auf den Mosaiksteinen stehen Wünsche der Besucher:innen. Unsplash@coleito.

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