Aus der Taufe leben

Viele von uns Christ:innen haben ihre eigene Taufe nicht bewusst erlebt, weil sie bereits als Kleinkind getauft wurden. Dabei ist die Feier der eigenen Taufe der wichtigste Gottesdienst in unserem Leben. Was hat sich da ereignet? Und was heisst das für uns heute?

Das griechische Wort für «taufen» im Neuen Testament (baptizein) bedeutet ein- oder untertauchen. Bei der Taufe wurden wir dreimal ins Wasser eingetaucht oder mit Wasser übergossen.1

Die Taufbecken waren ursprünglich in den Boden eingelassen; die Taufbewerber:innen stiegen auf der einen Seite ins Wasser hinab und auf der anderen Seite wieder hoch. Heute gibt es da und dort wieder Taufbecken, die eine solche Form der Taufe möglich machen. Hierzulande wird häufiger die vereinfachte Form der Taufe durch Übergiessen praktiziert.

Ins Wasser eingetaucht werden

«Eintauchen» im übertragenen Sinn meint: sich einlassen, ganz und gar in etwas hineingehen, nicht an der Oberfläche bleiben, sondern in die Tiefe gehen bis auf den Grund, den Reichtum ausschöpfen. Das Eintauchen ist risikobehaftet. Wer ganz eintaucht, verliert sich, verlässt sich selbst, geht ganz im anderen ein und auf.

Das Element Wasser spricht uns als Zeichen unmittelbar an; es hat eine reiche symbolische Bedeutung. Wasser ist lebensnotwendig; es reinigt und erfrischt, macht Erstarrtes und Verdorrtes wieder lebendig. Wasser kann aber auch lebensfeindlich sein: Wassermassen zersetzen und zerstören.

Überschwemmung in Bingley, UK

Wasser steht für die Ambivalenz menschlichen Daseins: für seine Kostbarkeit, für Fülle und Lebendigkeit ebenso wie für seine Begrenztheit, für Abgründe und Untiefen. Ins Wasser eintauchen oder mit Wasser übergossen werden bedeutet: sich der Kraft und Frische, der Bedrohtheit und Bedrohlichkeit des Lebens aussetzen.

Das dem Taufakt vorausgehende Gebet (Lobpreis und Anrufung Gottes über dem Wasser) spricht von der biblischen, heilsgeschichtlichen Bedeutung des Wassers. Bei der Erschaffung der Welt bändigt Gottes Geist die lebensfeindliche Urflut (Genesis 1,2). Nach der Sintflut, die alles vernichtet, schenkt Gott Noah einen neuen Anfang (Genesis 9). Nach dem Auszug aus Ägypten führt Gott sein Volk Israel durch die Fluten des Roten Meeres zur Freiheit (Exodus 14).

In diese Ereignisse reiht sich die Taufe ein. Gott wirkt an den Täuflingen: Im Zeichen des Wassers schenkt er neues Leben, er heilt, befreit, rettet. In der Taufe schenkt er uns seinen Geist, damit durch uns Heilsgeschichte fortgeschrieben wird.

Den Weg mit Jesus gehen

Das Segensgebet über dem Wasser spricht auch von der Taufe Jesu durch Johannes am Jordan. Die christliche Taufe hat darin ihr Vorbild. Jesus reihte sich ein in die Menschenmenge, stieg in den Fluss hinab und tauchte ins Wasser ein (Markusevangelium 1,9-11 par). So wurde am Beginn seines öffentlichen Wirkens sein «Lebensprogramm» sichtbar:

Jesus wurde ganz Mensch, er «erniedrigte sich» (Philipperbrief 2,8), tauchte ein in die Wirklichkeit des Menschen. Er schonte sich nicht, sondern setzte sich dem Schicksal aus, das die Menschen mit allen Geschöpfen teilen: ihre Vergänglichkeit, ihre Existenz zum Tod. Die Taufe Jesu kündete seine Bereitschaft an, den Weg zu gehen, «den alle Dinge gehen», wie es einem Lied heisst.2 Jesus ging den Weg des Menschen freiwillig, bewusst und bis zum Ende. Gott aber hat ihn nicht im Tod gelassen, er hat den Weg Jesu bestätigt und ihn ins neue Leben gerufen. So wurde Jesus für uns zum Wegbereiter und Erlöser, zum «Christus» (griechisch: der Gesalbte Gottes, hebräisch: der Messias).

Garten Getsemane bei Jerusalem

In der Taufe sind wir rituell den Weg mit Jesus bereits gegangen. Das Eintauchen und wieder Auftauchen ist ein symbolisches Sterben und Wiedergeborenwerden. Die Worte des Apostels Paulus, die bei der Taufe vorgetragen werden, machen dies deutlich: «Wir wurden ja mit ihm (Christus) begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln.» (Römerbrief 6,4)

Die Taufe schenkt eine neue Identität: Wir haben «Christus angezogen» (Galaterbrief 3,27), gehören zu Christus. Unser Leben als Christ:in zeichnet sich dadurch aus, dass wir immer mehr werden, was wir durch die Taufe bereits sind, dass wir immer mehr Christus ähnlich werden, so dass wir mit Paulus sagen können: «Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.» (Galaterbrief 2,20)

Ganz Mensch werden

Die Taufe ist zwar einmalig, sie wird nur ein einziges Mal im Leben empfangen, aber dieses eine Mal dauert an. Denn die Taufe schenkt uns eine neue, bleibende Identität, sie begründet eine neue Lebenswirklichkeit. Was in der Taufe an uns geschehen ist, sollen wir in unserem Leben nachvollziehen und umsetzen. Das ist unser Lebensprogramm.

Christ:in sein heisst: Ganz Mensch werden – wie Gott in Jesus ganz Mensch geworden ist. Als Getaufte gehen wir bewusst den Weg, den alle Dinge, den alle Menschen gehen. Alles, was uns begegnet, was uns widerfährt, deuten wir im Licht der Hoffnung, dass der Weg ein Durchgang ist, dass auf das Eintauchen ein Auftauchen folgt. Das Bewusstsein unserer Zugehörigkeit zu Christus hilft uns, mit den Ambivalenzen des Lebens umzugehen. Wir können die Einmaligkeit und Kostbarkeit allen Lebens wertschätzen, hüten und fördern, und gleichzeitig die Schattenseiten aushalten, annehmen und durchstehen, bei uns selbst, bei anderen und in der Welt. In der Taufe haben wir dazu die Kraft des Heiligen Geistes als «Proviant» erhalten.

Licht und Schatten

Jedes Mal, wenn wir an einer Taufe im Familienkreis oder in der Gemeinde teilnehmen, wenn wir in der Osternacht unser Taufversprechen erneuern, im Sonntagsgottesdienst mit Taufwasser besprengt werden oder wenn wir beim Ein- und Ausgang der Kirche uns mit Weihwasser bekreuzigen, machen wir uns bewusst, dass wir getauft sind. Am Ende unseres irdischen Lebens bezeichnen andere uns ein letztes Mal mit Weihwasser und beten: «Der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat».3

  1. Vgl. die liturgischen Bücher für das deutsche Sprachgebiet: Die Feier der Kindertaufe. Freiburg u.a. 2007; Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche. Trier 2001.
  2. «Wer leben will wie Gott auf dieser Erde»; vgl. Katholisches Gesangbuch. Gebet- und Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz (1998) Nr. 202.
  3. Die kirchliche Begräbnisfeier. Freiburg u.a. 2009. Nr. 99.

     

    Bildnachweise: Titelbild: Schale im Wasser. iStock, amphotora / Bild 1: Überschwemmung in Bingley, UK. Unsplash@chriswebdog / Bild 2: Weg im Garten Gethsemane bei Jerusalem. Wikimedia Commons@Mewasul / Bild 3: Ein Mann geht durch Licht und Schatten am Boden. Unsplash@ryoji__iwata

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