Johannes der Täufer: ein kritischer Zeitgenosse

Am 24. Juni begeht die katholische Kirche das Fest der Geburt Johannes des Täufers. Der Täufer spielt in den Evangelien eine wichtige Rolle als Umkehrprediger und Wegbereiter Jesu. Auch außerhalb der Bibel hat er Spuren hinterlassen. Wer war dieser Mahner? Was kann er heute noch bedeuten?

Johannes der Täufer ist eine der vielen Stimmen in den bewegten Zeiten des ersten Drittels des ersten Jahrhunderts n. Chr. Das Land war von den Römern besetzt. Judäa stand unter direkter römischer Verwaltung. Galiläa wurde vom Herodessohnes Antipas, andere Landesteile vom Herodessohn Philippus regiert, die beide von Roms Gnaden abhingen. Zwar sorgte Herodes Antipas in Galiläa mit grossen Bauprojekten für einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch war das Leben der Bevölkerung vor allem auf dem Land sehr hart. Es mussten Steuern und andere Abgaben bezahlt werden, viele gerieten in Verschuldung, während bei einigen wenigen der Reichtum wuchs. Immer wieder flackerte Widerstand gegen die römische Besatzung und ihre Handlanger auf, vor allem nach dem Tod von Herodes dem Grossen (4 v. Chr.), bei der Steuerschätzung, als Judäa unter direkte römische Verwaltung gestellt wurde (6 n. Chr.), oder im grossen jüdischen Aufstand ab 66 n. Chr. Allerdings sind in der Zeit um das Jahr 30, als Jesus von Nazareth auftrat, keine Aufstände bekannt. In dieser Zeit meldet sich Johannes der Täufer zu Wort.

Münzen von Herodes Antipas mit Palmwedeln, 30. n. Chr.

Eine verheissungsvolle Geburt

Nur das Lukasevangelium erzählt von der Geburt Johannes des Täufers. Lukas erzählt die Geburtsgeschichte des Johannes parallel zur Geburtsgeschichte Jesu und verleiht ihr damit ein ganz besonderes Gewicht (Lukasevangelium 1–2). Die Eltern Zacharias und Elisabet stammen nach Lukas beide aus priesterlichen Familien. Beide werden als gerecht und untadelig vorgestellt – aber sie sind kinderlos geblieben. Das ist eine Situation, wie wir sie bereits aus dem Ersten/Alten Testament kennen: von Abraham und Sara, von den Eltern des Simson oder auch von Hanna, der Mutter des Samuel.1 Lukas erzählt von der Geburt des Täufers nach diesem bekannten Erzählschema und zeigt damit die Erwählung und Berufung des Täufers zu seinem grossen Auftrag durch Gott selbst.

Auch der Name ist nach Lukas bereits Programm: Der Name Johannes geht auf das hebräische Jochanan zurück und bedeutet «JHWH hat sich erbarmt». Auf der Erzählebene des Lukasevangeliums bezieht sich dies zunächst auf den Kinderwunsch des hochbetagten Paares, der erfüllt wird. Mit Blick auf die Geschichte Gottes mit seinem Volk klingt zudem die Zuwendung Gottes zu seinem Volk und zu allen Menschen an, wie sie in der Geburt Jesu dann Gestalt annimmt. Entsprechend besingt sein Vater Zacharias in seinem «Benedictus» in prophetischem Geist, was sich in der Geburt dieses besonderen Kindes ereignet:

«Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen;
er hat uns einen starken Retter erweckt
im Hause seines Knechtes David.
So hat er verheissen von alters her
durch den Mund seiner heiligen Propheten.(…)»
(Lukasevangelium 1,68–70)

Mit dem starken Retter aus dem Hause Davids ist der Messias Jesus gemeint; doch ist Johannes ein wichtiger Teil dieses weltverändernden Geschehens.

Tugendlehrer oder Gerichtsprophet?

Während über die Geburt des Täufers nur im Lukasevangelium erzählt wird, kommen sein Wirken und seine Botschaft auch in den anderen Evangelien und beim jüdischen Historiker Flavius Josephus zur Sprache. Dass dieses Wirken sowohl in den Evangelien breit bezeugt ist, als auch – unabhängig davon – bei Flavius Josephus erwähnt wird, zeigt, dass der Täufer tatsächlich eine historisch greifbare Gestalt ist.

Josephus‘ Jüdische Altertümer, lateinische Übersetzung, 11. Jh.

Allerdings weichen die Darstellungen etwas voneinander ab. Nach Flavius Josephus ist Johannes ein Tugendlehrer, der zwar getauft habe, doch nicht zur Vergebung von Sünden, sondern zur Reinigung des Körpers. Mit seinen Worten habe Johannes so viele Menschen begeistert, dass sein Landesherr Herodes Antipas fürchtete, dass dies zu einem Aufstand führen könnte. Deshalb habe er ihn vorsorglich in der Wüstenfestung Machärus östlich des Toten Meeres festsetzen und schließlich umbringen lassen.2

Auch für die Evangelien ist die Tauftätigkeit charakteristisch für Johannes. Allerdings ist sie nach deren Darstellung nicht mit einer Tugendlehre verbunden, sondern mit einer harten Gerichtspredigt:

«Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt? Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: ‹Wir haben Abraham zum Vater.› Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.» (Matthäusevangelium 3,7-10)

Nach Johannes steht die Welt am Abgrund. Schuld daran ist das schlimme Tun der Menschen. Deshalb steht Gottes Zorngericht unmittelbar bevor. Die einzige Chance, dem Gericht zu entkommen, ist sofortige Umkehr und die Änderung des Lebens. Zeichen dafür ist die Taufe. So kommen nach dem Matthäusevangelium die Menschen zu Johannes, bekennen ihre Sünden und lassen sich taufen. Anders als bei Flavius Josephus ist also die Taufe des Johannes für die Evangelien nicht nur ein Reinigungsritual, sondern «eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden» (Markusevangelium 1,4).

Es bleibt allerdings nicht beim Ritus allein. Nach dem Lukasevangelium müssen der Taufe ganz konkrete Taten folgen:

«Da fragten ihn die Scharen: ‹Was sollen wir also tun?› Er antwortete ihnen: ‹Wer zwei Gewänder hat, gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, handle ebenso!› Es kamen auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, und fragten ihn: ‹Meister, was sollen wir tun?› Er sagte zu ihnen: ‹Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.› Auch Soldaten fragten ihn: ‹Was sollen denn wir tun?› Und er sagte zu ihnen: ‹Misshandelt niemanden, erpresst niemanden, begnügt euch mit eurem Sold.›» (Lukasevangelium 3,10-14)

Jeder, jede soll also in dem Bereich, in dem er oder sie lebt und tätig ist, gerecht und gut handeln. Soldaten, Zollpächter, aber auch alle anderen Menschen können in ihrem Alltag so leben, dass es der Weisung Gottes entspricht und nicht dazu führt, dass Wehrlose und Abhängige übervorteilt werden, Gewalt erleiden oder auf andere Weise unter die Räder kommen. Wie später dann Jesus hat nach Lukas bereits der Täufer die Armen und Schwachen im Blick. Dieses Modell des sozial gerechten Handelns ist typisch für das Lukasevangelium, das noch mehr als die anderen Evangelisten diese Dimension der Botschaft Jesu hervorhebt.

Ein Lehrer auch für Jesus

In einem Punkt sind sich die Evangelisten und Flavius Josephus einig: Johannes hat mit seiner Botschaft Scharen von Menschen angesprochen. Allerdings zeigen nur die Evangelien auch Jesus unter denen, die die Botschaft des Täufers überzeugend finden. Nach dem Zeugnis aller vier Evangelien liess sich Jesus von Johannes taufen. Dies kann als historisch glaubwürdig angesehen werden. Und manches spricht sogar dafür, dass Jesus eine Weile in der Schülerschaft des Täufers blieb, bevor er zu seiner eigenen Botschaft von der anbrechenden guten neuen Welt Gottes fand.

Die Predigt des Johannes des Täufers, Peter Brueghel the Elder, 1566

Für Jesus steht dann nicht mehr wie bei Johannes das Gericht Gottes im Zentrum. Vielmehr ist er überzeugt, dass der grosse Herrschaftswechsel im Himmel bereits geschehen ist und sich nun Gottes gute neue Welt überall ausbreitet. Diese barmherzige Zuwendung Gottes macht Jesus in seinen Worten und Taten erfahrbar.

Die Evangelien stellen Johannes den Täufer als einen Vorläufer und Vorboten Jesu dar. Historisch gesehen hat sich Johannes allerdings wahrscheinlich eher als einen Vorboten von Gott selbst gesehen, so wie der Prophet Maleachi im Ersten Testament den Propheten Elija dem Gerichtstag Gottes vorausgehen lässt:

«Bevor aber der Tag GOTTES kommt, der grosse und furchtbare Tag, seht, da sende ich zu euch den Propheten Elija. Er wird das Herz der Väter wieder den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern (…).» (Buch Maleachi 3,24)

Vermutlich verstand sich der Täufer als ein solcher Vorbote des Gerichtes Gottes. Die Evangelien zeichnen ihn mit seinem Kamelhaarmantel und dem ledernen Gürtel tatsächlich nach dem Modell des Elija.3 Nur im Johannesevangelium lehnt der Täufer den Vergleich mit Elija ab. Ansonsten ist das Erscheinungsbild des Täufers nach den Evangelien das eines Asketen, der sich von der kargen Nahrung in der Wüste ernährt. Getauft hat er mit einiger Wahrscheinlichkeit am Unterlauf des Jordan, auf der Ostseite des Flusses und damit im Herrschaftsbereich von Herodes Antipas.

Ein gewaltsamer Tod

Mit Herodes Antipas kam Johannes schliesslich in einen Konflikt, der für ihn tödlich endete. Dies bezeugen sowohl die Evangelisten Markus und Matthäus, als auch Flavius Josephus. Nach Flavius Josephus fürchtet Antipas die grosse Anhängerschaft des Täufers, nach den Evangelien hingegen ist der Grund für den Konflikt die Kritik des Täufers an der (ungesetzlichen) Ehe des Antipas mit Herodias, der Frau seines Stiefbruders.

Markus und Matthäus gestalten das gewaltsame Ende des Täufers dramatisch aus: Bei einem Festgelage zum Geburtstag des Antipas habe sich die Tochter der Herodias durch einen Tanz die Gunst des Antipas erworben, so dass er ihr zur Belohnung einen Wunsch erfüllen wollte. Auf Betreiben ihrer Mutter habe die Tochter den Kopf des Täufers verlangt, so dass Herodes Antipas, an sein Wort gebunden, gezwungen gewesen sei, Johannes enthaupten zu lassen.

Von solch dramatischen Ereignissen berichtet Flavius Josephus nichts. Dafür nennt er als Ort der Hinrichtung die Festung Machärus auf der Ostseite des Toten Meeres. Von Flavius Josephus erfahren wir zudem den Namen der Tochter: Salome. Als solche ist sie heute bekannt, vor allem durch die Kunstgeschichte, in der sich ihr Tanz – meinst in Kombination mit dem abgeschlagenen Haupt des Täufers – zu einem beliebten Motiv entwickelte.

Einige Texte des Neuen Testaments lassen erkennen, dass es auch nach dem Tod des Täufers noch Gruppen von Johannes-Anhänger:innen gab. Doch verlieren sich ihre Spuren bald im Dunkel der Geschichte.

Festung Machärus

Ein unbequemer Mahner

Vieles an der Gestalt des Täufers und an seiner Botschaft wird uns heute fremd sein. Vom bevorstehenden Zorngericht Gottes werden wir kaum noch so wie er sprechen können. Andererseits ist seine Zeitdiagnose heute wieder von ungeheurer Aktualität. Auch wir müssen feststellen: Unsere Welt steht erneut am Abgrund – durch menschengemachte Katastrophen wie Klimawandel, Kriege oder globale soziale Ungerechtigkeiten. Auch heute sagen viele: Es ist «fünf vor zwölf» – vermutlich sogar später. Es braucht radikale Umkehr in verschiedener Hinsicht, sofort und weltweit. Und es braucht Mahner wie Johannes den Täufer, die die Dinge beim Namen nennen und Umkehr einfordern.

Solche Mahner:innen sind allerdings unbequem und lästig. Anfeindungen bis hin zu körperlicher Gewalt sind keine Ausnahmeerscheinungen. In vielen Ländern müssen Oppositionelle, die unbequemen Wahrheiten aussprechen, um ihr Leben fürchten. Wie damals Johannes der Täufer.

  1. Abraham und Sara mit der Geburt des Isaak: Buch Genesis 17,15-22; 18,1-15; 21,1-8. Geburt des Simson: Buch der Richter 13,1-25. Hanna und die Geburt Samuels: Erstes Buch Samuel 1–2.
  2. Flavius Josephus: Antiquitates / Jüdische Altertümer 18,116–119.
  3. Vgl. 2. Buch der Könige 1,8: Hier ist Elija daran erkennbar, dass er einen Mantel aus Ziegenhaaren und einen ledernen Gurt um die Hüften trägt.

     

    Bildnachweise: Titelbild: Johannes der Täufer, Leonardo da Vinci, 1513/1516, Öl auf Holz, Louvre, Paris. Wikimedia / Bild 1: Münzen von Herodes Antipas mit Palmwedeln, 30. n. Chr., gefunden in Judäa / Bild 2: Josephus‘ Jüdische Altertümer (Antiquitates Iudaicae), lateinische Übersetzung , 11. Jh. n. Chr., aufbewahrt in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz / Bild 3: Die Predigt des Johannes des Täufers (The Preaching of Saint John the Baptist), Peter Brueghel the Elder, 1566 n. Chr., Öl auf Eichenholzplazze, Szépművészeti Múzeum Budapest / Bild 4: Ruinen der Festung Machärus am toten Meer, heute in Jordanien. /

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Kommentare

Ein Kommentar zu “Johannes der Täufer: ein kritischer Zeitgenosse

  1. 02.07.23

    Jürgen Friedrich

    GOTT schuf Menschen sich als Noten
    für seine Meister-Partitur
    und lässt uns spielen seine Boten,
    mal in MOLL und mal in DUR.

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