Alles kommt in Bewegung

Auch wenn die Zahlen zurückgehen: Immer noch lassen viele Eltern ihre Kinder taufen und verbinden damit offenbar Gutes und Wichtiges für ihr Kind. Auch Jugendliche und Erwachsene lassen sich taufen, nicht selten sogar in der Osternacht. Wer zu einer christlichen Kirche gehören will, muss getauft sein. Woher kommt dieser Ritus? Und was bedeutet er?

Natürlich hat die Taufe einen biblischen Ursprung. Aber so klar wie es vielleicht zunächst scheint, ist es dann doch wieder nicht. Denn Jesus selbst hat wahrscheinlich gar nicht getauft. Zwar gibt es einen Satz im Johannesevangelium 3,22, dass Jesus in Judäa getauft habe; doch wird dies ein paar Verse gleich wieder zurückgenommen, indem gesagt wird, dass nicht Jesus selbst, sondern seine Jünger:innen getauft hätten (Johannesevangelium 4,2). Weil in den anderen drei Evangelien überhaupt kein Hinweis darauf zu finden ist, dass Jesus getauft hat, geht die Jesusforschung davon aus, dass die Taufe nicht zur ursprünglichen Praxis Jesu gehörte.

Die Taufe des Johannes

Allerdings gibt es einen anderen, als dessen «Markenzeichen» die Taufe erscheint: Johannes der Täufer. Das Taufen wurde als so charakteristisch für ihn angesehen, dass es zu seinem Beinamen wurde: der Täufer. Johannes war überzeugt, dass Gottes Zorngericht unmittelbar bevorstand. Angesichts dieses drohenden Gerichts rief er dazu auf, sofort umzukehren und das Leben zu ändern. Zeichen dafür war die Taufe im Jordan.

Die heutige Taufstelle am Jordan

Die griechischen Worte, die für seine Tätigkeit des «Taufens» verwendet werden, baptízō oder auch báptō, bedeuten «eintauchen» oder «untertauchen» und lassen darauf schliessen, dass die Täuflinge vollständig in das fliessende Wasser des Jordan eingetaucht wurden. So wurde das Abwaschen der Sünden und das Neuwerden sinnenfällig sichtbar und erfahrbar gemacht.

Charakteristisch für diese Taufe des Johannes war, dass es sich nicht um eine Selbsttaufe handelte, sondern dass sie vom Täufer an den Täuflingen vollzogen wurde, und dass sie einmalig war, also nicht wiederholt wurde. Beides unterschied sie von den verschiedenen Waschungen, die die Tora im Falle von Unreinheit vorschreibt. Diese Reinigungsbäder konnte man selbst ausführen und im Bedarfsfall auch wiederholen. Dem gegenüber war die Taufe des Johannes also etwas Neues und Anderes.

Mit seiner aufrüttelnden Botschaft, die mit diesem eindrücklichen Ritual verbunden war, scheint Johannes viele Menschen angesprochen zu haben. Unter ihnen war auch Jesus. Alle vier Evangelien bezeugen, dass sich Jesus von Johannes taufen liess. Allerdings stand dann im Zentrum seiner Botschaft nicht das drohende Gericht, sondern Gottes gute neue Welt, die jetzt schon überall zu spüren war. Um diese neue Welt Gottes erfahrbar zu machen, rief er Menschen in seine Nachfolge, feierte Feste, schlug Dämonen in die Flucht, heilte Menschen und schenkte neue Perspektiven. Das waren die «Sakramente» dieser neuen Zeit, in denen dieses wunderbar Neue schon erfahrbar wurde. Die Taufe hätte vielleicht auch ein passendes Zeichen dafür sein können, dass man bereit war, umzukehren und sich auf diese neue Welt Gottes einzulassen; doch war die Taufe vermutlich zu Lebzeiten Jesu zu sehr mit Johannes dem Täufer und seiner Gerichtsbotschaft verbunden, als dass sie gleichzeitig als ein Zeichen für Jesu Reich-Gottes-Praxis hätte dienen können. Das ist allerdings nur eine Vermutung. Die Evangelien sagen darüber nichts.

Die Taufe in den ersten Gemeinden

Die ältesten Dokumente des Neuen Testaments, die etwas über die Praxis der ersten Gemeinden aussagen, sind die Briefe des Paulus. Sie sind in den 50er-Jahren des ersten Jahrhunderts n. Chr. entstanden. Diese Briefe zeigen, dass die Taufe in den ersten Gemeinden bereits geläufig war. Das ist interessant und zugleich rätselhaft. Denn es bleibt unklar, wann genau und wie die Christusgläubigen angefangen haben zu taufen.

Manuskript mit einem Ausschnitt der Apostelgeschichte, 4. Jh. n. Chr.

Die Erzählung der Apostelgeschichte, die allerdings erst etwa 40 Jahre nach Paulus entstand, legt nahe, dass das schon sehr bald nach Ostern geschah. Nach ihrer Darstellung ruft Petrus schon in seiner Pfingstpredigt die Menschen dazu auf, sich taufen zu lassen:

«Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung eurer Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.» (Apostelgeschichte 2,38)

Von da an zeigt die Apostelgeschichte in vielerlei Variationen, wie Menschen, die zum Glauben an den Messias Jesus finden, sich taufen lassen. Zu ihnen gehört auch Paulus, der nach seiner Christusbegegnung von Hananias in Damaskus getauft wird (Apostelgeschichte 9,18).

Diese Darstellung der Apostelgeschichte aus den 90er-Jahren des ersten Jahrhunderts schaut aus grosser zeitlicher Distanz auf die erste Zeit nach dem Tod Jesu zurück und will den eigenen Leser:innen am Ende des ersten Jahrhunderts sicherlich ein ideales Bild der Anfänge vor Augen führen. Doch eine andere Quelle, die Aufschluss geben könnte über die Zeit zwischen dem Tod Jesu und den Gemeinden des Paulus in den 50er-Jahren, gibt es leider nicht. So muss es letztlich im Dunkeln bleiben, wie es genau dazu kam, dass die Taufe zu dem wichtigen Ritus wurde, wie ihn die Paulusbriefe voraussetzen – und wie ihn ja auch Lukas längst voraussetzt, indem er dieses Bild der Jerusalemer Anfänge zeichnet.

Das Matthäusevangelium, das einige Jahre vor der Apostelgeschichte – und etwa zeitgleich zum Lukasevangelium – in den 80er-Jahren entstanden ist, lässt am Schluss des Werkes den Auferstandenen selbst zur Taufe aufrufen:

«Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jünger:innen; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.» (Matthäusevangelium 28,18-20)

Auch dies ist eine Darstellung, die aus einiger zeitlicher Distanz entstanden ist. Doch auch sie zeigt, wie konstitutiv die Taufe für die Gemeinde des Matthäus war. Jünger:in werden bedeutet hier als erstes, getauft zu werden. Verbunden damit ist ein zweites: alles zu befolgen, was Jesus gelehrt hat. Christsein nach Matthäus hat sehr viel mit einem guten, Jesus-gemässen Handeln zu tun.

Taufszene-Fresko, Katakombe der Heiligen Marcellinus und Petrus, Rom, 4. Jh. n. Chr.

Bemerkenswert ist die Taufformel, die hier genannt wird und die wir heute noch gebrauchen. Die Taufe erfolgt «auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes». Die Apostelgeschichte bezeugt ein paar Jahre später in der Predigt des Petrus eine eingliedrige Formel: «auf den Namen Jesu Christi» (Apostelgeschichte 2,38). Offenbar gab es am Ende des ersten Jahrhunderts noch keine einheitliche Formel, die überall in gleicher Weise verwendet wurde. Wie so vieles entwickelte sich auch dies erst im Laufe der Zeit.

Taufe, Geistkraft und Charismen

Aber zurück zu den Gemeinden des Paulus. Für sie hat die Taufe eine grundlegende Bedeutung. Wer zum Glauben an den Messias Jesus findet und sein Leben darauf aufbaut, macht dies durch die Taufe auch (gemeinde-)öffentlich sichtbar. Mit der Taufe werden die Glaubenden Teil der Gemeinde, die für Paulus nichts anderes ist als der «Leib» – wörtlich: der Körper – des Messias Jesus:

«Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.» (1 Korintherbrief 12,13)

Die Getauften werden ein Glied in diesem Leib:

«Ihr aber seid der Leib des Christus, und jede:r Einzelne ist ein Glied an ihm.» (1 Korintherbrief 12,27)

Die Kraft, die darin zu spüren ist und die dies bewirkt, ist die Heilige Geistkraft. Sie ist für Paulus und die ersten Gemeinden nicht nur eine «theoretische Grösse», sondern ganz konkret zu erfahren in Begabungen und Fähigkeiten, die sie den Getauften schenkt: den Charismen. Paulus erkennt eine bunte Vielfalt an solchen Charismen in den Gemeinden. Im ersten Brief an die Gemeinde von Korinth liest sich das so:

«Den einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, den anderen durch denselben Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, anderen in demselben Geist Glaubenskraft, anderen – immer in dem einen Geist – die Gabe, Krankheiten zu heilen, anderen Kräfte, Machttaten zu wirken, anderen prophetisches Reden, anderen die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden, anderen verschiedene Arten von Zungenrede, anderen schliesslich die Gabe, sie zu übersetzen. Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; allen teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will.» (1 Korintherbrief 12,8-11)1

Diese Begabungen dürfen und sollen in die Gemeinde eingebracht werden, und zwar von allen. Denn jede Begabung wurde verliehen, «damit sie anderen nützt» (1. Korintherbrief 12,7). Die Charismen sind Geschenke der Geistkraft, sie sind weder zu «machen» noch zu kaufen – denn die Geistkraft weht, wo sie will (vgl. Johannesevangelium 3,8). Sie erfasst alle Glaubenden, unabhängig davon, wo sie herkommen, welchen gesellschaftlichen Stand oder welches Geschlecht sie haben. Sie macht, dass in der Gemeinde ein neues Miteinander gelebt werden kann, in dem alte gesellschaftliche Machtverhältnisse ausgedient und alle die gleiche Würde als Söhne und Töchter Gottes haben. So besingt es ein Tauflied, das Paulus in seinem Brief an die Gemeinden in Galatien zitiert:

Die Geisteskraft wird über die Gläubigen ausgegossen. Pentecoste (Pfingsten), Giotto (1304-1306 n.Chr., Scrovegni Kapelle, Padua)

«Denn alle seid ihr durch den Glauben Söhne [und Töchter] Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.» (Galaterbrief 3,26-28)

Neu werden und neu handeln

Der tiefste Grund, warum in der Gemeinde andere Massstäbe herrschen als anderswo, liegt im Christus selbst: Sein Weg ans Kreuz – und damit an den untersten Rand gesellschaftlichen Ansehens – und seine Auferweckung durch Gott kehren gesellschaftlich herrschende Wertmassstäbe und Machtverhältnisse um. In der Taufe aber, so ist Paulus überzeugt, vollziehen die Glaubenden genau diesen Weg des Christus mit ihrem eigenen Körper und ihrer eigenen Existenz nach:

«Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln.» (Römerbrief 6,3-4)

Wer sich so auf den Christus einlässt und mit der Taufe den Weg des Christus nachvollzieht, kann nicht mehr so leben wie bisher, sondern wird neu und anders handeln, eben Gottes- und Jesus-gemäss.

Mit der Taufe kommt nach Paulus also einiges in Bewegung. Eigentlich alles. Menschen werden neu, werden zu einer «neuen Schöpfung» (2. Korintherbrief 5,17), denken und handeln neu. Zur Zeit des Neuen Testaments waren es Erwachsene, Menschen, die mitten im Leben standen, die durch den Schritt zum Glauben ihr Leben veränderten, dies durch die Taufe zum Ausdruck brachten und gemeinsam ein neues Miteinander erprobten. Im Laufe der Geschichte hat sich die Kindertaufe durchgesetzt – aus verschiedenen Gründen, denen in einem eigenen Beitrag nachzugehen wäre. Die grundlegende Bedeutung der Taufe für Menschen, die sich dem Christus Jesus zugehörig fühlen, ist geblieben. Was es heisst, «aus der Taufe zu leben», hat Josef Willa auf dieser Plattform vor Kurzem anschaulich gezeigt. Allen Getauften mit ihren geistgeschenkten Charismen Raum und Wertschätzung zu geben – darin läge ein riesiges Potential für die Kirche.

  1. Die Liste wird fortgesetzt im 1. Korintherbrief 12,28-30. Eine zweite Liste findet sich im Römerbrief 12,4-8.

     

    Bildnachweise: Titelbild: Passt aufeinander auf. Dieterkowallski_photocase / Bild 1: Die Stelle am Jordan, die heute von vielen Gläubigen mit der Taufstelle des Johannes identifiziert wird. Von jordanischer Seite aus fotografiert. Foto: Tabea Aebi / Bild 2: Manuskript (Papyrus 8) mit einem Ausschnitt aus der Apostelgeschichte (Apg 4-5) aus dem 4. Jh. n. Chr. Staatliche Museen zu Berlin. Wikimedia Commons, Berliner Papyrusdatenbank / Bild 3: Taufszene-Fresko in der Katakombe der Heiligen Marcellinus und Petrus, Rom, Italien, 4. Jh. n. Chr. Wikimedia Commons / Bild 4: Die sechs Eigenschaften des Heiligen Geistes gemäss Jesaja 11,2-3: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis und Ehrfurcht vor Gott (letztere wird in der griechischen Septuaginta zusätzlich als Frömmigkeit übersetzt, daher zeigt das Fenster 7 Eigenschaften); Christ Church Cathedral Dublin (ca. 1870). Wikimedia Commons / Bild 5: Die Geisteskraft wird über die Gläubigen ausgegossen. Pentecoste (Pfingsten), Giotto (1304-1306 n.Chr., Scrovegni Kapelle, Padua, Italien). Wikiart.

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